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Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Das Auge der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Dekkard
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ist vorbei.“
Die Knopfaugen niedergeschlagen raunte der alte Chin ein paar Sätze.
„Einen hat man dort gelassen“, übersetzte der Arzt. „Den Anführer, den mit den glühenden Augen. Er war übler zugerichtet als die anderen. Und auch ihm fehlten Hände und Füße. Die Leute glaubten an einen bösen Zauber und haben ihn an Ort und Stelle begraben. Ein Verfluchter an einem verfluchten Ort.“
„Er ist dort!“
Kaum verhohlener Jubel brach durch Leonards Stimme. Mit Macht loderte das Fieber wieder in die Höhe.
    Unverzüglich brachen sie auf. Der Arzt gehörte zu den Wenigen, die sich zumindest im Tageslicht trauten, den Ort all dieser düsteren Geschehen aufzusuchen. Nach zehn Fußminuten stießen sie auf die von Gestrüpp und Wurzeln überwucherten Mauerreste der alten Kirche. Nur einzelne Lichtsprengsel fielen durch dichte Baumkronen darauf herunter. Der rechteckige Grundriss war gerade noch zu erkennen. Dreißig bis vierzig Personen mochte das Gebäude einmal Platz geboten haben, wäre es dem erbarmungswürdigen Missionar je gelungen, die Einheimischen für seinen Gott zu gewinnen. Ranken und Wurzeln überwucherten die Grabstätte. Hartnäckig krallten sie sich daran fest, als wollten sie den Toten nicht mehr freigeben. Es dauerte eine Stunde, das widerwärtige Gewächs zu entfernen. Im Stillen dankte Leonard dem Schicksal, bewies das Gestrüpp doch, dass ihnen niemand zuvorgekommen war.
Man hatte Conley in einem steinernen Sarkophag beigesetzt. Kyiun Thet sagte, dahinter verberge sich die Furcht, er könne wieder aus seinem Grab steigen. Die wuchtige Deckplatte sollte ihn daran hindern. Es wunderte Leonard, wer sich die Mühe gemacht hatte, sie zu bearbeiten. Auf dem Deckel protzte in geschwungenen Buchstaben:
Blackford Conley, Captain der 2 nd South Wales Borderers, geboren am 7. September 1849, gefallen für Königin und Vaterland am 17. April 1888.
„Also gut. Wir müssen es öffnen“, sagte er und fügte halb entschuldigend hinzu: „Pietätloser als einen Mönch zu verprügeln ist es auch nicht.“
Sie benötigten ihre gemeinsamen Kräfte, den Deckel zur Seite zu schieben. Mit einem Knirschen rutschte er durch sein Eigengewicht von der Kante und bohrte sich dumpf in den Waldboden.
Da lag er!
An dem Skelett hingen noch dunkelrote Fetzen, Reste der Uniformjacke. Hand– und Fußknochen fehlten. Vermutlich hatte jemand die Schlangendämon-Legende genutzt, um dem Tod dieses Mannes einen finsteren Beigeschmack zu verleihen. Oder um das Grauen, das an diesem Ort hausen sollte, wachzuhalten. Um es noch zu verstärken, hatte man den Schädel des Toten zertrümmert. Die Leiche musste einen entsetzlichen Anblick geboten haben.
„Oh, Gott. Was haben sie mit ihm angestellt“, presste Ellen hervor.
Ein Gegenstand auf dem Sargboden elektrisierte Leonard. Ein längliches Bündel zur Linken des Skeletts. Der stark zersetzte Leinensack zerbröselte, als er ihn mit Ellens Hilfe aus dem Sarg hob. Zwischen seinen Fingern fühlte Leonard das Metall: Conleys Regimentssäbel. Die Erkenntnis sackte schwer in die Magengrube, warf ihn zu Boden.
„Der Dolch ist nicht in seinem Grab! Ich war so sicher. Alles weist hierher, auf diesen einen Punkt.“
Dieser verdammte Kris, fluchte er bitter in sich hinein. Wenn alles, was ihm bislang in die Hände geriet, an ein leeres Grab führte, bedeutete dies das Ende der Suche. Das Auge der Dunkelheit konnte überall sein.
Dem Arzt entging die Enttäuschung der Fremden, denn der Tote weckte sein berufliches Interesse. Die Hand– und Fußgelenke wiesen glatte Schnittkanten auf, hervorgerufen durch einen einzigen Schlag mit einem scharfen, schweren Gegenstand. Ein Beil oder ein Säbel, dachte er. Den Schädel hatte man mit einem stumpfen Gegenstand traktiert. Die Basis war mehrfach gebrochen, ebenso Nasenbein und Kieferknochen.
„Ich kann nur hoffen, dass man ihn erst nach dem Tod derart zugerichtet hat“, murmelte er. „Aber auch früher hat er schon einiges abbekommen.“
„Was meinen Sie damit?“
Der Arzt zeigte auf zwei Stellen.
„Da, am Oberschenkel. Diese Schramme. Sieht aus, als hätte ihn da mal eine Kugel getroffen. Könnte auch ein Lanzenstich, ein Messer oder ein Pfeil gewesen sein.“
    Was Leonard zunächst nur undeutlich ahnte, nahm vor seinem inneren Auge Gestalt an. Die Depesche aus dem Ranguner Archiv. Conley war nie verwundet worden!
„Und der linke Unterarm war mal gebrochen. Die Verletzung ist schon angeheilt, stammt also nicht von der

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