Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
auch wieder nur eine typisch westliche Betrachtungsweise?“
Für diese Spitze erntete Leonard ein böses Funkeln. Es verglühte sogleich wie ein Meteorit.
„Welches Interesse haben Sie an dieser Sache, Mister Finney?“
„Das warum , Mister Mahangir“, antwortete Leonard und verlieh seinen Sätzen den matten Tonfall eines Entmutigten.
„Ich hoffte, eine Antwort zu finden, warum all diese Menschen ermordet wurden. Aber ich fürchte, das war´s. Bei Gandring endet die Spur. Das Beste wird sein, nach Hause zu fahren. Nach England.“
Mit der Bemerkung, dass er ebenfalls unverzüglich die Heimreise antreten werde, verabschiedete sich der Malaie.
Er hat den Köder geschluckt, dachte Leonard und wartete, bis Mahangir in das Passantengewühl tauchte, das die Shopping Malls der Orchard Road umspülte. Dann folgte er dem Malaien in sicherem Abstand. Verband Leonard selbst etwas mit diesem Rätsel, wie der Brief seiner Eltern behauptete, dann markierte dieser Mann nun das Ende der Spur. Im Haus des Schmiedes hatte er etwas entdeckt. Leonard musste es wissen. Es ging ihm um weit mehr als nur das warum .
Mahangir verlangsamte seinen Schritt und holte einen silbrigen Gegenstand aus der Hosentasche, halb so groß wie eine Zigarre. Eine Minox-8x11-Miniaturkamera. Dann betrat er einen Fotoshop. Vierzig Minuten vergingen, bis Mahangir das Geschäft wieder verließ, ein Kuvert in der Hand. Er holte ein Foto daraus hervor und plötzlich verfiel er in Starre. Minutenlang, den Strom der Passanten ignorierend, konnte er sich nicht daraus lösen. Schließlich hob er ruckartig den Kopf. Für Leonard erweckte Mahangir den Eindruck, als wisse er für einen Moment nicht, an welchem Ort er sich befand.
Schließlich steckte er die Fotografie wieder in den Umschlag. Mit schnellerem Schritt lief er die Orchard Road hinunter, verschwand in einer Buchhandlung und trat kurz darauf mit einer vollgepackten Tasche auf die Straße. Schlagartig drehte er sich in Leonards Richtung und kam ihm entgegen geeilt. Hastig zwängte Leonard sich in einen Hauseingang. Eine Instinkthandlung, die ihren Zweck verfehlte. Über die Schultern der Fußgänger hinweg hatte Mahangir ihm direkt in die Augen gesehen. Sich der peinlichen Situation zu stellen, war unvermeidbar. Gerade wollte er einen Schritt vorsetzen. Mahangir sauste an ihm vorbei, die Sinne auf einen fernen Punkt gerichtet. Leonard hätte neben dem Mann herlaufen können, ohne wahrgenommen zu werden.
Durch Nebenstraßen verfolgte er ihn weiter, bis in die Cuscaden Road. Dort schlüpfte Mahangir in den Eingang des Regent Singapore, eines der teureren Hotels. Leonard verharrte auf der gegenüberliegenden Straßenseite, nun selbst ein Jäger, der sich im Schatten herumdrückte. Warum versuchte der Kerl zu verschleiern, wo er wohnte? Was hatte er auf diesem Foto gesehen?
Es würde schwierig werden, die Antworten zu erhalten. Auf dem Weg in sein eigenes Hotel verabschiedete sich Leonard von dem Gedanken, es auf legale Weise schaffen zu können.
„Irgendwelche Nachrichten?“ , fragte Leonard.
Der runzlige Portier des Old Empire schaute in das Fach 301, in dem deutlich sichtbar keine Nachrichten lagen.
„Oh, ja, Mister Finney“, sagte er dann holperig. „Eine Frau hier und nach Ihnen fragen, ja, ja. Gerade gegangen. Sie vielleicht sehen müssen.“
Dabei verdrehte er die Augen, als verstecke sich die korrekte Grammatik an der Decke der Lobby. Trotzdem verstand Leonard und trat auf die Straße. In einiger Entfernung, vor einem minimart , wartete Ajay, das Mädchen aus Runcimans Haus. Als hätte er gerufen, drehte sie sich plötzlich zu ihm um. Leonard winkte, aber sie wandte sich in einer heftigen Bewegung ab und lief davon. Sie floh!
Noch von dieser Reaktion verunsichert betrat Leonard wieder das Hotel.
„Hat sie gesagt, um was es ging?“, fragte er den Portier.
Als Antwort erhielt er ein breites Grinsen. Der Alte benutzte es bei Ausländern, wenn er nicht verstand. Leonard stutzte die Frage in mundgerechte Stücke, die der Chinese auch schlucken konnte.
„Nachricht hinterlassen?“
Kopfschüttelnd zeigte der Alte auf das leere Fach.
„Keine, Mister Finney.“
Leonard gab auf, verlangte seinen Zimmerschlüssel und stapfte über die Treppe in den dritten Stock. Immer noch begegneten ihm keine Menschen in dem Hotel. Aber es existierte ein Zimmerservice. Hier in Nummer 301 jedenfalls. Das Bett strahlte frisch bezogen und neue Handtücher hingen auf den Haltern. Mittlerweile würde er
Weitere Kostenlose Bücher