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Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Das Auge der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Dekkard
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England dürfte es keine Hure geben, die einen Miniaturaltar mit Kreuz und Marienbild in ihrer Wohnung anbetete. Dort, wo sie dieser Überzeugung nach täglich mehrmals sündigte. In Asien waren diese Grenzen völlig anders gezogen.
Er bog seinen Rücken durch, massierte die malträtierten Gelenke. Die Kleine hatte ihn über Nacht auf den Fußboden verbannt, enttäuscht, weil er nicht mit ihr schlafen wollte. Am Morgen zeigte sie sich versöhnlicher. Zu versöhnlich. Im Angesicht ihres Gottes räkelte sie sich nackt auf ihrem Bett und fummelte mit einer Hand zwischen ihren gespreizten Beinen.
„Immer noch keine Lust zum Ficken?“
„Ich muss gehen“, sagte Leonard trocken und ignorierte ein leichtes Ziehen in den Lenden.
„Ach, du bist kein Mann“, maulte sie in gespielter Entrüstung und wickelte sich in das Laken. „Wer ist Mister Käwennäi? Dein Ladyboy ?“
„Hör zu! Vergiss diesen Namen. Hast du mich verstanden?“
Leonard holte eine 100-Singapurdollar-Note aus der Tasche und drückte sie in ihre Hand.
„Es war eine harte Nacht. Aber eine von den besseren in letzter Zeit. Danke.“
Sie schlang ihre Arme um seinen Hals.
„Ich mag dich“, säuselte sie. „Kommst du wieder?“
Er befreite sich und stand auf.
„Ich glaube nicht.“
Dann griff er noch einmal zum Telefon. Die Nummer, die er jetzt wählte, verband ihn mit der letzten Chance, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
    Nervös stiefelte Talley in seinem Büro auf und ab.
„Ein-mal“, jammerte er vor sich hin. „Einmal in zehn Jahren lässt du dich auf sowas ein. Und das ist die Quittung.“
Neben seinem Hang zu stummen Flüchen pflegte er als zweite Passion ein übermäßiges Selbstmitleid. Seit er sich aufgeplustert hatte, sich bereit erklärte, die Untersuchung des Schiffes zu leiten, bedauerte er sein Schicksal. Jetzt zwang es ihn, ein Treffen zu arrangieren zwischen seinem Chef und einem gesuchten Mörder.
„Aber er wird es mir übel nehmen. Ganz sicher wird er es mir übel nehmen.“
Was da alles schiefgehen konnte. Vor allem, weil ...
Das Klingeln des Telefons jagte den Gedanken fort. Wie ein aufgescheuchtes Huhn flatterte Talleys Hand eine Weile über dem Hörer. Dann packte er zu.
„Jonathan Talley, SA Shipping, business affairs“, sagte er routinemäßig.
Man brauchte zu dieser frühen Stunde einen Pullover, um es in dem heruntergekühlten Raum auszuhalten. Trotzdem bildeten sich Schweißperlen auf Talleys Stirn und Schläfen, während er das Gespräch führte.
„Ja, Mister Finney. Mister Runciman wird da sein. ... okay ... Machen Sie sich keine Gedanken ... Ja ... gut ... bis dann, Mister Finney.“
Er legte auf und fauchend fuhr sein Atem aus. Die Bürouhr klickte auf zehn nach neun.
„Zehn Uhr“, sagte er. „Er wird um zehn Uhr hier sein.“
„Okay. Sehr gut.“
Detective Inspector Sung wies seine Männer an, ihre Stellungen zu beziehen.
Die Carpenter Street bildete eine kurze, schmale Verbindung zwischen zwei verkehrsreichen Achsen, die zur Harbourfront hinunterführten, die New Bridge– und die South Bridge Road. Die Reederei SA Shipping belegte den 2. Stock eines Büroblocks in der Mitte der Carpenter Street. Von hier sah man die gesamte Straße ein. Einmal konnte Finney schon entkommen, dachte Inspector Sung. Dieses Mal würde die Falle zuschnappen. Er brachte drei Posten in Stellung. Nummer 1 und 2 an den beiden Enden der Straße. Je ein ziviles Fahrzeug, besetzt mit zwei Beamten. Sobald Finney auftauchte, sollten sie die Straße abriegeln. Nummer 3 wartete, getarnt als Hausmeister, im Eingangsbereich des Gebäudes. Er bekam Order, den Engländer passieren zu lassen. Ging die Sache hier oben schief, würde er diesen Weg abschneiden. Einen Hinterausgang gab es nicht, ebenso wenig wie einen Zugang auf das Dach.
9:47
Unter ihm flimmerte einsam die Straße, kein Verkehr, keine Menschen. Die Sonne stand bereits hoch und tauchte sie in ein trockenes Licht. Es fehlte nur noch der Wind, der Staub die Straße hinunterwehte, wie in einen Westernfilm. Die gespannte Stille, kurz bevor die Schurken in die Stadt einritten.
„Ich hab kein gutes Gefühl. Ich hab verdammt noch mal kein gutes Gefühl.“
Talley stand im Begriff, sich in eine Pfütze aus Angst und Schweiß zu verwandeln.
„Beruhigen Sie sich. Wir haben alles unter Kontrolle“, meinte Sung. Er wechselte einen Blick mit seinem Kollegen aus Malaysia. Officer Amir Sujardhan hatte darauf bestanden, an der Verhaftung teilzunehmen. Ohnehin

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