Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
mein Hotel. Also renne ich mit einer geklauten Waffe in einer Stadt herum, in der man schon für das Spucken auf den Boden 250 Dollar Strafe zahlen muss.“
Leonard bemerkte, wie absurd die Wahrheit klingen konnte. Die Kleine kicherte.
„Ziemlich viel Scheiße auf einen Haufen“, sagte sie unerschrocken.
Anscheinend absurde Geschichten gewohnt, nahm sie auch seine hin wie eine Getränkebestellung.
„Gib mir´n Drink aus. Oder zwei. Dann kannste bei mir pennen. Genug von Matrosen für heute.“
Leonard willigte ein. In Sicherheit zu sein, nahm wirklich skurrile Züge an. Dieses Bett war besser als keines. Dabei dachte er nur an ein paar Stunden Schlaf, aber das konnte noch ein Problem werden. Er hoffte, nicht den Revolver benutzen zu müssen, um die Kleine auf Abstand zu halten.
Kapitel 15
„Ich habe von Ihrem Verlust gehört“, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung. „Höchst bedauerlich. Auch das mit Ihrer, na sagen wir ruhig, Zwangslage.“
Leonard spielte mit der Visitenkarte des SETI-Angestellten.
„Dann können Sie sich, Mister Kavenay, vielleicht vorstellen, dass ich die Spielchen langsam leid bin.“
„Wo halten Sie sich gerade auf, Mister Finney?“
Auch ohne um sein Leben fürchten zu müssen, hätte Leonard nicht verraten, Gast in dem Fünfzehn-Quadratmeter-Verschlag einer Singapurer Nutte zu sein.
„Das spielt jetzt keine Rolle!“, antwortete er schroff. „Sie hatten Kontakt zu meinen Eltern. Ihnen ist ein gewisser Doktor Pathom bekannt. War Ihnen bekannt, müsste ich sagen. Sie alle sind jetzt tot. Auf was sind sie gestoßen, Kavenay?“
Die Leitung blieb einen Moment stumm. Leonard glaubte, die Verblüffung seines Gesprächspartners greifen zu können.
„Wir sollten das unter vier Augen besprechen.“
„Unter vier Augen? Also ohne Ihren Kollegen mit der Wandschrankfigur. Was tut er für Sie? Kaffee kochen?“
„Eine Schutzmaßnahme“, kam es trocken herüber. „Ich sagte Ihnen ja, die Sache ist gefährlich.“
„Das ist eine ziemlich grobe Untertreibung. Nach all dem, was passiert ist.“
„Was glauben Sie, warum Sie in diesen Schwierigkeiten stecken, Mister Finney?“
Deutlich hörte Leonard die Absicht heraus, zu erfahren, wie viel er wusste. Gleichzeitig erstaunte ihn, wie sich allmählich seine Sinne schärften. Nie fielen ihm bisher solche Feinheiten im Ton und Gebrauch der Worte bei anderen auf. Zart wuchs in ihm eine Eigenschaft heran, die er an sich nie vermutet hätte. Intuition. Dass sie ihn auch auf spektakuläre Weise täuschen konnte, sollte er noch erfahren.
Leonard entschloss sich, zu tun, was alle anderen auch taten. Jedes direkte Wort vermeiden.
„Ich glaube, Sie wissen sehr gut, warum ich in diesen Schwierigkeiten stecke. Jemand hat meine Eltern getötet. Und diesem Jemand klopfe ich wohl zu heftig auf den Busch.“
Die Antwort musste enttäuschen und Leonard erwartete, dass Kavenay einen zweiten Versuch unternahm. Der erste Irrtum.
„Der Tod von Mister und Misses Finney ist ein schwerer Schlag, auch für mich. Ich kann Ihnen helfen. Aber dazu muss ich wissen, was Sie wissen.“
Obwohl gewarnt durch Kavenays Verhalten, verschluckte sich Leonard an dem Köder. Das Mitgefühl über das Schicksal von Martha und Evan berührte ihn. Auch wenn daraus weniger die Trauer über ihren Verlust als Menschen sprach. Kavenay bedauerte den Tod zweier fähiger Wissenschaftler. Er sorgte sich darum, das von ihnen entdeckte Rätsel würde ungelöst bleiben. Welche Gefahr auch immer von Kavenay ausgehen mochte: Es war jedes Risiko wert, den Mörder zu finden.
Ihn beschlich das Gefühl, am anderen Ende der Leitung würde Kavenay diese Gedanken geradezu einatmen.
„Wer immer dahinter steckt, Mister Finney. Es muss eine große Nummer sein. Zu groß für Sie allein.“
Kavenays Stimme trug nicht mehr die Disharmonie aus Sanftheit und Kälte. Eines davon war aus dem Klang verschwunden. Mit der Modulation verfolgte er einen Zweck. Denn es war die Kälte, die fehlte. Es weckte wieder Leonards Intuition.
„Ich werde mir Ihr Angebot überlegen“, sagte er. Dann legte er, ohne eine Antwort abzuwarten, den Hörer auf die Gabel.
Neben dem Telefon blinkte ein schreinartiges Ding. Das Bild einer bärtigen Gottheit, verziert mit einer Lichterkette. Ringsum verteilt ein Blütenkranz, Kerze, Räucherstäbchen und ein Blechteller mit Reis und Früchten. Wen verehrte sie da? Dieser Ausdruck spiritueller Neigung in der Wohnung einer Prostituierten verwirrte ihn. In
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