Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
gehörte es zu seiner Aufgabe, Leonard Finney nach Malaysia zu überführen. Für ihn lief alles bestens. In weniger als 48 Stunden einen Mord aufgeklärt. Obwohl, wie er sich eingestand, sein Beitrag als eher gering eingestuft werden musste. Er beschränkte sich auf die Annahme von zwei Telefonaten. Das erste hatte zum Opfer geführt und das zweite zum Täter. Darauf, wer sich hinter diesen anonymen Anrufen versteckte, verschwendete Sujardhan keinen Gedanken. Weder über dessen Motivation, noch, woher er sein Wissen nahm. Die Fakten sprachen gegen den Engländer, den Rest würde niemanden kümmern. Für ihn selbst aber bot dieser Fall die Chance zur Rehabilitation. Einen Mörder hinter Gittern zu bringen, konnten sie nicht ignorieren. Wen interessierten da die Umstände? Er müsste nur ein wenig dazudichten, um seine Rolle in dem Spiel zu vergrößern.
9:55
Eine schwarze Mercedes-Limousine bog in die Carpenter Street, rollte in gemütlichem Tempo heran und hielt vor dem Eingang.
„Wer ist das?“, fragte Sung.
„Mister Runciman“, sagte Talley. „Das ist sein Wagen. Ich hatte ihm gesagt ...“
„Sind Sie verrückt?“, unterbrach Sung ihn barsch. „Ausgerechnet jetzt?“
Hektisch suchte er die Straße ab, konnte aber niemanden sonst entdecken.
„Worauf wartet der? Warum steigt er nicht aus?“, fragte Sujardhan.
„Verdammter Dreck! Der versaut uns die Show“, fluchte Sung und
schaltete sein Walkie-Talkie ein.
„Posten 3. Im Wagen da unten sitzt Runciman. Gib dem Kerl ein Zeichen, dass er reinkommen soll. Aber bleib im Gebäude.“
Er empfing ein kratziges „Okay!“ aus dem Lautsprecher.
Unweit der Einmündung, wo die Carpenter Street auf die New Bridge Road stieß, blieb Leonard stehen.
9:58
Er fühlte den Revolver im Hosenbund. Hier hatte ihm vor zwei Tagen dieser rothaarige Drecksack aufgelauert. Gut möglich, dass sein Auftraggeber es noch einmal versuchte.
Sich dicht an den Häuserwänden haltend ging er vor bis zur Einmündung. Die Carpenter Street verbreitete eine gespenstische Ruhe. Kein Mensch zu sehen. Am anderen Ende der Straße floss der Verkehr auf der South Bridge Road vorbei. Leben. Leonard atmete durch und bekämpfte das dumpfe Gefühl, das die tote Kitchener Road unter dem Zimmer 300 in ihm erzeugt hatte. Und jene in eine andere Dimension entrückte Straße, in der Doktor Pathom gestorben war. Angespannt beobachtete er seine Umgebung, registrierte die Autos, die links und rechts parkten. Ein paar japanische Marken und direkt vor dem Eingang zum Reedereibüro ein schwarzer Mercedes. Dicke Ausführung, dachte Leonard. Wird Runciman sein. Also gut. Weniger als zweihundert Meter zum rettenden Ufer. Er lief los.
Das Walkie-Talkie meldete sich mit einem Pfeifton.
„Hier Posten 2. Ich glaub, er ist hier. Ein Ausländer. Hält sich im Schatten. Von euch aus gesehen auf der gegenüberliegenden Seite. Muss in Deckung bleiben, sonst entdeckt er mich.“
Angestrengt spähte Sujardhan durch sein Fernglas hinaus.
„Dreck!“, fluchte er. „Ich seh ihn nicht.“
Auch Sung stieß wieder einen Fluch aus und betätigte das Funkgerät.
„Posten 3. Was ist mit Runciman?“
„Keine Ahnung“, kam die Antwort. „Die Karre hat verdunkelte Scheiben. Ich zappel hier rum wie´n Kranich auf Koks.“
„Vergiss es!“, schnarrte Sung.
150 Meter die Straße hinunter löste sich ein Mann aus dem Schatten und überquerte die Fahrbahn.
„Ist er das?“
Sujardhan wollte das Fernglas fokussieren, drehte aber versehentlich in die falsche Richtung. Für einen Moment waberten nur die unscharfen Umrisse eines Mannes in dem Glas. Hastig bewegte er den Fokussierring in die andere Richtung.
„Ja, verdammt. Das ist er!“
„Treten Sie vom Fenster weg, Mister Talley“, forderte Sung den Büroleiter auf.
„Wieso? Das Glas ist verspiegelt. Er kann uns gar nicht sehen.“
Sein halbherziges Auflehnen prallte an der Autorität des Inspectors ab. Eingeschüchtert plumpste Talley in seinen Stuhl.
„Wo kommt der denn jetzt her?“, rief Sujardhan erstaunt aus.
Hinter Finney betrat ein zweiter Mann die Straße, ein junger Chinese. Während er sich dem Engländer rasch näherte, zog er die Hand aus seiner Jacke.
„ Celaka !“, schrie Sujardhan. „Die Sau hat ´ne Waffe!“
Der Verfolger beschleunigte seinen Schritt und zielte mit einer Automatik auf Leonards Rücken.
„Eins und Zwei! Eingreifen!“, brüllte Sung ins Walkie-Talkie.
„Die kommen zu spät!“
Sujardhan riss das Fenster
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