Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
Ergriffenheit im Gesicht des Angestellten.
„Es ist authentisch, nicht wahr?“
Vor dem Mitarbeiter konnte er es zugeben. Jemandem, der nicht in das Geheimnis eingeweiht war, blieb der tiefere Sinn der Zeilen verborgen.
„Sie beklagt den Tod ihres Geliebten.“
„Süße Verheißungen“, sagte der Angestellte. „Eine unerfüllte Hoffnung. Er scheint auf der Suche gewesen zu sein. Eine traurige Geschichte.“
In der düsteren Poesie dieses Trauergesanges verbarg es sich.
... der treueste deiner Treuen dir mitgab in die letzte Zuflucht, dein Geheimnis, dein Schatz ...
Das Auge der Dunkelheit schlummerte im Grab des Offiziers. Und erneut deutete es auf ein größeres Geheimnis, das hinter diesem Dolch steckte. Süße Verheißungen. Was hatte Conley gesucht?
Das Fieber verwandelte sich in einen Feuersturm, der auf Leonards Seele überschlug. Er besaß, was alle so verzweifelt suchten, wofür sie mordeten. Das eröffnete ihm als einzigen die Möglichkeit, dieses Geheimnis wieder auszugraben. Die irrsinnigen, verwinkelten Züge des Schicksals drängten ihn, keinen anderen, auf den Weg. Wollte er das Auge der Dunkelheit, musste er das Grab finden. Der verschlungene Pfad führte nach Burma.
Er benötigte einen falschen Pass und ein Visum. Und ein zweiter, ebenso irrer Winkelzug des Schicksals hatte ihm die Bekanntschaft eines Barmädchens eingetragen, dem er Kontakte zur Unterwelt zutraute. Jeanny erfüllte noch eine zweite Bedingung, die im Zusammenhang mit Unterweltkontakten widersinnig erschien: vertrauenswürdig zu sein. Sie mochte ihn, das spürte er.
„Im Indochine lungert einer rum, der macht sowas“, sagte sie. „Is´ zuverlässig.“
Das Geld, das er ihr für diesen ungewohnten Dienst anbot, entlockte ihr einen spitzen Freudenschrei.
„Du bekommst noch mehr. Denn der größte Gefallen, den du mir tun musst, der kommt am Schluss.“
„Bumsen?“
Er verdrehte die Augen. „Nein. Nicht bumsen. Wart´s ab.“
Sofort machte sich Jeanny auf den Weg. Erschöpft sank Leonard auf das Bett. Selbst wenn er sich mit Burma irrte, dachte er. Seine Zeit in Singapur lief ab. Einer würde ihn erwischen, die Polizei oder die Krake Chan Khuo, die tödlichere Bedrohung. Und auch ohne diese Gefahr würde er jeder noch so abwegigen Spur folgen, wenn sie versprach, das Rätsel zu lösen, auf das ihn seine Eltern gestoßen hatten. Schon ihretwegen musste er es versuchen.
Wie lange er geschlafen hatte, wusste er nicht mehr, als er das Klacken des Schlosses hörte. Jeannys schlanker Körper zwängte sich durch die Tür. Mit einem Fuß schob sie einen Koffer in den engen Flur und wuchtete zwei sperrige Einkaufstüten hinterher. Sie wischte über ihre Stirn und spielte die Erschöpfte.
„Puh, ich weiß schon, warum ich mein Geld in ´ner Bar verdiene.“
Sie spielte alles. Die Vorwurfsvolle, die Beleidigte, die Erschöpfte, vielleicht auch die Liebevolle. Es hing mit ihrem Beruf zusammen. Es färbte ab, wenn man ständig spielen musste. In der Bar Indochine spielte sie immer die Geile.
„Wozu brauchst du den ganzen Kram?“
„Eine kleine Reise.“
Er half ihr, die Sachen hereinzutragen. In einem Zug trank sie eine halbe Flasche Wasser und plumpste auf einen Stuhl.
„Okay“, sagte sie. „Er hat einen Pass. Braucht nur dein Bild rein. Das Visum ist auch kein Problem.“
Bevor Leonard den Mund öffnen konnte, fuhr sie fort.
„Ja, ja. Ich hab alles so gemacht, wie du gesagt hast. Er kommt mit den Sachen her. Ach so, ja. Der Typ säuft ganz gern. Gib ihm ´ne Pulle was Gutes dazu.“
„Gut gemacht. Du bist ein Engel“, sagte er. „Und jetzt kommt das Wichtigste.“
Seiner Tasche entnahm er mehrere Hundert-Dollar-Noten.
„Du packst jetzt ein paar Sachen und verschwindest für eine Weile. Am besten aus der Stadt raus. Und am besten sofort.“
Ein kleines Mädchen spielend verzog sie den Mund und maulte herum.
„Wo soll ich denn hin? Ich will bei dir bleiben.“
„Das ist unmöglich, Jeanny.“
Er fühlte sich wie jemand, der seiner Tochter erklären musste, dass nicht jeder Mann gut für sie war.
„Was ich dir in der Bar erzählt hab, weißt du noch? Das war die Wahrheit.“
„Du hast einen umgelegt?“
Als Antwort holte er den Revolver hervor und legte ihn auf den Tisch.
„Hör zu. Es ist zu gefährlich für dich. Ich werde dich da nicht mit hineinziehen. Nicht weiter als bis hierher jedenfalls.“
Die Waffe versah seine Worte mit roter Warnfarbe. Sie verstand.
„Mach einen Strandurlaub.
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