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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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Ungeschützt lag er vor Hassan. Doch mitten in der Bewegung stoppte er. Der Säbel schwebte über dem Nacken des Gefangenen, die Klinge zitterte in seiner Hand, gefährlich im Licht der Öllampen schimmernd. Nein, er durfte ihn nicht töten. Wenigstens jetzt noch nicht. Er brauchte ihn noch. Er brauchte das Bildnis von ibn Sina. Und - bei Allah! - er würde es auch bekommen.
    Hassan zog den Säbel zurück und steckte ihn in die Scheide. Mit einem Schlag fühlte er sich wieder ruhig. Er war stark geblieben, er hatte die Prüfung bestanden. Und er wusste jetzt, wie er vorgehen musste.
    Der Gefangene sah zu ihm empor. Immer noch lief frisches Blut über sein Gesicht. Doch an seinem Blick erkannte Hassan, dass er nichts bemerkt hatte als einen schwachen Luftzug an seinem Hals. Er ahnte nicht, dass er weniger als eine Handbreit vom Tod entfernt gewesen war. Er ahnte nicht, wie viel Glück er soeben gehabt hatte.
    »Nun, du kennst sicher noch Omar al-Kazar, den Mosaikleger?« Zu seiner großen Genugtuung sah er, dass der Gefangene zusammenzuckte. Er wirkte erschrocken. »Er ist im Kerker wegen ähnlicher Vergehen wie du. Und auch er kannte ibn Sina. Wenn du das Bildnis nicht malen willst, er wird es gewiss tun - für Wasser, frische Kleidung oder sogar die Freiheit. «
    »Ja, das fürchte ich auch«, murmelte der Mann und versuchte sich aufzurichten. Er mühte sich ab wie ein Fohlen bei seinen ersten Stehversuchen, immer wieder knickten seine dürren, ausgemergelten Arme unter ihm zusammen. »Das wäre in der Tat ...«
    Jetzt hast du keine Macht mehr über mich, dachte Hassan und lächelte. Jetzt, da du weißt, dass du nicht der Einzige bist, dass du entbehrlich bist, dass ich dich töten lassen und trotzdem mein Ziel erreichen kann. Das Gefühl des bevorstehenden Triumphes breitete sich in ihm aus. Er konnte förmlich sehen, wie der Gefangene seine Chancen gegen seine eben noch wortreich mitgeteilten Prinzipien abwog, sich dabei seinen eigenen Lohn ausmalend. Und wirklich, der Mann änderte sein Verhalten.
    »Al-Kazar ist ein Stümper«, sagte er schließlich und rümpfte die blutige Nase. »Wenn du ihn das Porträt malen lässt, wird niemand auf der ganzen Welt ibn Sina darauf erkennen können. Du solltest mir den Auftrag geben.«
    »Oh, ich dachte du wolltest - wie sagtest du vorhin noch? - ach ja, du wolltest einen guten Mann nicht verraten?«
    »Nein, natürlich nicht, aber ...« Der Gefangene kroch auf Knien näher, rang seine Hände und leckte sich über die trockenen, aufgesprungenen und geschwollenen Lippen. Seine Stimme klang plötzlich sanft und einschmeichelnd. »Du hast mir nichts davon gesagt, dass ich ... Was bekomme ich, wenn ich ...«
    Heuchler!, dachte Hassan und sah auf den Mann vor ihm hinab. Bis vor wenigen Augenblicken hatte er sich vor ihm beinahe gefürchtet. Er hatte seine Kraft, seine Standhaftig- keit fast bewundert. Doch in Wahrheit war er nichts als ein armseliges, bedauernswertes, fehlgeleitetes Geschöpf. Er kam angekrochen wie ein Hund, den man mit Tritten verscheuchen und gleich darauf mit einem halb verfaulten Knochen wieder anlocken kann. Gier galt nicht umsonst als eine der Todsünden.
    »Was willst du denn haben?«
    Der Mann leckte sich die schmutzigen Finger, schmatzte und griff nach dem Saum von Hassans Gewand. Ekelhafter Gestank wallte zu ihm empor, und ihm wurde übel. Er riss sich los und wich einen Schritt zurück.
    »Nicht viel. Viel weniger als dieser Stümper. Etwas zu essen natürlich. Und Wasser, frisches Wasser. Und, und ... frische Kleidung. Außerdem würde ich gern ein Bad nehmen, falls sich das machen ließe.«
    Er sprach schnell, hastig. Sein Blick war ängstlich, so als würde er fürchten, dass es für ihn bereits zu spät war, dass Hassan sich nicht mehr umstimmen ließe.
    Gut, dachte Hassan, jetzt habe ich ihn genau dort, wo ich ihn haben wollte. Er tat, als ob er über den Vorschlag des Gefangenen erst nachdenken müsste.
    »Gut«, sagte er schließlich, »es sei so. Du sollst alles erhalten, was dein Herz begehrt. Aber erst nachdem du das Bildnis fertig gestellt hast - in vierfacher Ausführung.«
    Der Gefangene nickte so heftig, dass eine Staubwolke von seinen schmutzigen Haaren aufstieg.
    »Ja, natürlich, ich werde sogleich mit der Arbeit beginnen. «
    »Ausgezeichnet«, sagte Hassan und amüsierte sich dabei im Stillen über den beinahe kindischen Eifer, den der Mann plötzlich an den Tag legte. Und das nur für die Aussicht auf eine Kelle frisches Wasser und

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