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Das Auge der Fatima

Das Auge der Fatima

Titel: Das Auge der Fatima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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nichts an«, sagte er und wandte dem Mann den Rücken zu, »aber wenn du es durchaus wissen willst - wir lassen ihn suchen. Wir benötigen gute Ärzte in Gazna und ...«
    »Nein, Hassan, das ist nicht der wahre Grund. Es arbeiten ausreichend Ärzte an deines Vaters Hof. Und Dankbarkeit kann auch nicht dein Beweggrund sein, denn sonst hättest du ibn Sina schon längst nach Gazna geholt. Nein, da muss etwas anderes dahinter stecken.« Der Mann kaute auf seiner trockenen, spröden Lippe herum. Und dann fuhr sein Kopf plötzlich empor. »Jetzt verstehe ich!«, stieß er hervor. »Doch glaube mir, ich werde dir nicht dabei helfen, diesen Mann zu töten.«
    Hassan schüttelte den Kopf. »Ibn Sina ist ein Frevler, ein Ketzer. Er ist schlimmer als ein Ungläubiger. Er ist ein Gottloser. Er tritt das Gesetz mit Füßen, er tritt die heiligen Worte des Korans mit Füßen, er ...«
    »Er hat dir das Leben gerettet, Hassan! Hast du das etwa vergessen?«, unterbrach ihn der Mann. Er stand auf. Irgendwie schaffte er es, sich trotz der schweren eisernen Ketten, mit denen er an Händen und Füßen gefesselt war, zu erheben und näher an Hassan heranzutreten. »Wenn er nicht gewesen wäre, wärst du jetzt nicht hier. Wenn er damals deinen Fuß nicht gerichtet und geschient hätte, wärst du mit Sicherheit ...«
    Der Gefangene stand jetzt so dicht vor ihm, dass sein Gesicht nur eine Handbreit von Hassans entfernt war. Unwillkürlich wich er einen Schritt zurück. Diese zornig funkelnden Augen flößten ihm eine unerklärliche Furcht ein.
    »Es war Allah, der mich gerettet hat«, entgegnete Hassan. »Er hat unsere Schritte zu dem Lagerfeuer von ibn Sina gelenkt. Er hat in Seiner unendlichen Barmherzigkeit ...«
    »Und doch war es die Hand von ibn Sina, die dir Kräuter gegen das Fieber und gegen die Schmerzen eingeflößt hat. Wenn er nicht gewesen wäre, wärst du in den Bergen gestorben, Hassan. Noch in jener Nacht. Du bist verblendet von deinen eigenen Irrlehren und ...«
    Hassan ertrug es nicht länger. Er holte aus und schmetterte dem Mann seine Faust mitten ins Gesicht. Der von Hunger und Durst geschwächte Gefangene knickte zusammen wie ein Grashalm und stürzte zu Boden. Doch er gab sich immer noch nicht geschlagen.
    »Was willst du jetzt tun, Hassan? Mich umbringen? Mich foltern? Mir alle Knochen brechen? Tu es. Doch du wirst mich nicht dazu bringen, einen guten, ehrlichen Mann zu verraten. Ich gehöre nicht zu der Schar von Dummköpfen, die bereit sind, dir auf deinem Weg in die Hölle zu folgen.«
    Hassan packte den Gefangenen an dem, was vor Jahren ein Kragen gewesen sein mochte, und zog ihn vom Boden hoch.
    »Hüte deine Zunge, Elender!«, zischte er. »Du vergisst, wer von uns beiden dem Teufel seine Seele verkauft hat.«
    »Manchmal frage ich mich, ob ibn Sina dich nicht besser hätte sterben lassen sollen«, flüsterte der Mann, während Blut an seinem Kinn hinunterlief. »Vielleicht ist das die einzige unverzeihliche Sünde, die er in seinem Leben begangen hat. Doch Allah möge barmherzig sein, denn er tat es aus Unwissenheit. Er glaubte, er würde einem Jungen das Leben retten. Er konnte nicht ahnen, welch eine Bestie sich hinter dem unschuldigen Gesicht verbarg.«
    »Du Sohn einer ...« Der morsche Stoff der Kleidung des Gefangenen gab nach, und der Mann stürzte wieder zurück zu Boden. Hassan verlor das Gleichgewicht, taumelte und konnte sich gerade noch rechtzeitig abfangen, bevor er auf dem Rücken landete wie ein hilfloser Käfer. Er sprang auf und lief mit langen Schritten durch das Zimmer. Zorn packte ihn. Ein unbändiger Zorn, der sich in einem animalischen Schrei aus seiner Brust befreien wollte. Er sah blendend weiße Kreise vor seinen Augen, seine Fäuste öffneten und schlössen sich, er biss die Zähne zusammen, bis er glaubte, sie würden ihm aus dem Kiefer herausbrechen. Dann packte er in einer einzigen Bewegung den Griff seines Säbels, zog die Waffe aus der Scheide an seinem Gürtel und wirbelte zu dem Gefangenen herum, der am Boden kauerte und sich das Blut von Mund und Nase wischte. Jetzt würde er diesen gottlosen Kerl richten. Hier, auf der Stelle würde er mit seiner Klinge, die am Grab eines Heiligen gesegnet worden war, den Kopf dieses Spötters vom Rumpf trennen und ihn endlich dorthin schicken, wohin er eigentlich schon seit vielen Jahren gehörte - in die Hölle.
    Der Säbel sauste nieder, auf den schmutzigen dünnen Hals des Gefangenen zu, der seinen drohenden Tod nicht kommen sah.

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