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Das Auge der Seherin

Das Auge der Seherin

Titel: Das Auge der Seherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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Sie entdeckten, dass sie beide einen der fünf Glassteine mit dem Siegel des Oberkönigs besaßen.
    Sie schlürfte seine Gegenwart ein wie das frische Wasser ihrer Quelle und ließ keine Trauer darüber zu, dass sie beide so lange in Desante gelebt hatten, ohne von einander zu wissen.
    Wie schön war es, ihn neben sich zu sehen und sein Bild nicht in ihrem blinden Seherauge suchen zu müssen. Seine Bewegungen zu beobachten, ihn sprechen zu hören, den lockigen Fall seiner dunklen Haare zu betrachten, war ihr das höchste Glück.
    Aber dann erinnerte sie sich der gefahrvollen Wirklichkeit und sie wusste, dass diese Zeit nicht ewig währen würde. Nachts lag sie oft wach, lauschte seinem Atem und spürte, wie das Schicksal ihr das unverdiente Glück streitig machen wollte. Großmutter hat mir immer geraten, gut zu anderen zu sein. Ahnte sie, dass ich aus Dummheit und Herzlosigkeit einmal meinen Zorn über mein Gewissen stellen würde?
    Landen erschien ihr zu gut für sie. Er würde niemals aus Verbitterung handeln. Sie wollte ihn mit Liebe überschütten, ihn küssen, ihn fragen, was er für sie empfinde. Sie fühlte sich dieses klugen, wunderbaren Mannes nicht würdig.
    Seit diesem ersten Morgen, als sie ihn um Verzeihung gebeten hatte, hatte er sie kaum berührt. Doch wenn er sie berührte, spürte sie seine Zuneigung - er strich ihr übers Haar, drückte ihren Arm. Zuneigung ja, aber Liebe? Torina seufzte. Sie hörte Landen kommen und
    drehte sich um.
    „Landen?"
    „Prinzessin?" Sein Lächeln ließ ihr Herz vor Liebe überlaufen.
    „Es klingt seltsam, mit ,Prinzessin' angesprochen zu werden. Du weißt, dass ich keine Prinzessin mehr bin." „Für mich bist du immer die Prinzessin." „Landen, du sagtest, nicht einmal Dahmis weiß, wo wir sind?"
    „Wirklich nicht."
    „Du hast mir nicht erzählt, warum ich getötet werden soll."
    Er setzte sich neben sie und umschlang seine Knie. „Es hieß, du hättest den Sliviitern die Stellung der verbündeten Truppen verraten, damit sie uns ungehindert schlagen könnten." „Wie? Ich soll..."
    „In der Bucht von Schlossburg in Glavenrell gab es einen Überraschungsangriff. Fast alle Truppen waren an anderen Orten stationiert, viele davon in Archeld." „Archeld!" Sie zitterte. „Der Oberkönig hat Vesputo Truppen geschickt?"
    Ja"
    „Und was geschah dann?"
    „Wir konnten den Einmarsch verhindern", sagte er. „Wir?" Er senkte den Kopf. „Landen, sieh mich an. Landen, wer ist wir!" Sie beugte sich zu ihm und sah die tiefen Schatten um seine Augen, die Last all dessen, was er gesehen hatte. „Ich habe den Sliviitern niemals Informationen gegeben." „Ich weiß, Torina."
    „Aber was habe ich nur getan, oh! Was habe ich unterlassen." Ihre Augen brannten wie im Wüstenwind. „Ich wusste die ganze Zeit, dass es ein Fehler war. Landen, ich war so zornig über das Bündnis mit Vesputo, dass ich Dahmis meine Hilfe gegen die Sliviiter verweigerte. Seitdem habe ich nie mehr in meinen Kristall geschaut! Ich war auch wütend auf den Kristall, weil er mir nie etwas von dir gezeigt hat. Wenn ich mir vorstelle, dass ich dich vor der Schlacht hätte bewahren können! Das kann ich niemals wieder gutmachen!" Sie sank in sich zusammen. „Torina. Du trägst keine Schuld. Es war Krieg." „Krieg sollte von Kriegern geführt werden!" Ja. Ja, du hast Recht. Aber meistens geschieht doch alles ganz anders."
    Sie schlug sich mit der Faust gegen die Stirn. Landen hielt ihren Arm fest. „Torina. Du darfst dir wegen des Krieges keine Vorwürfe machen. Die Verluste waren äußerst gering gemessen daran, wie groß der Angriff angelegt war." „Wie war das möglich?"
    Er überging ihre Frage. „Und als der Oberkönig mich nach Archeld beorderte, weigerte ich mich." „Ach. Aber du hast dich doch nicht gegen Dahmis gekehrt?" „Nein."
    „Du kannst ihm immer noch helfen. Vielleicht steht die größte Gefahr noch bevor." Er hob zwei Steine hoch und schlug sie gegeneinander. „Natürlich!"
    Eifrig nestelte sie an ihrer Tasche und zog das Bündel mit dem Kristall hervor. Gleißend lag er in ihrer Hand. Ihr Blick verschwamm und suchend sah sie hinein. Vesputo stand im Zimmer ihres Vaters, sein markantes Gesicht bewegungslos. Neben ihm stand Beron. Vesputo erläuterte leise Anweisungen und Pläne. „Dahmis!", schrie Torina entsetzt. „Wir müssen ihn warnen!"
    „Was ist los?"
    Das Bild verblasste und verwandelte sich rasch in eine andere Szene. Sie sah Berons triumphierendes Grinsen. „Beron. Er

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