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Das Auge der Seherin

Das Auge der Seherin

Titel: Das Auge der Seherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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nun eintrat war, war Furcht erregend.
    „Der war ich einst", krächzte Landen.
    „König Kareed nahm Euch den Vater, das Volk und das
    Königreich?"
    „So ist es."
    „Habt Ihr König Kareed getötet?"
    Dreea beugte sich mit klopfendem Herzen vor.
    „Nein." Landen sah zur Königin.
    Dahmis breitete die Arme aus und blickte in die Menge. „Gibt es hier jemanden, der bezeugen kann, dass Ihr König Kareed nicht ermordet habt?" „Ja, ich!", ertönte eine Stimme.
    Dreea fasste sich ans Herz. Der junge Attentäter hatte gerufen! Ein Soldat hielt ihm den Mund zu. „Ein Attentäter, der einen des Attentats Beschuldigten verteidigt? Was weißt du schon vom Tod des Königs Kareed?"
    Der Junge versuchte, sich aus dem Griff des Soldaten zu befreien. „Lass ihn los", befahl Dahmis streng. „Er kann nicht fliehen." Der Soldat lockerte seinen Griff. „Ich wiederhole", sagte der Oberkönig mit erhobener Stimme, „was weißt du vom Tod des Königs Kareed?" „Alles", antwortete der Junge und wieder spürte Dreea ihr Herz taumeln. „So tritt vor."
    Der Junge kam nach vorn. Er war in sackartige Kleider gehüllt und sein Gesicht war unter der großen Mütze kaum zu erkennen.
    Der Oberkönig erbleichte. „Vineda?", fragte er. Statt einer Antwort riss sich der Junge die Mütze vom Kopf. Üppiges, rotes Haar floss herab und offenbarte ein unverwechselbares Gesicht.
    „Torina Archelda!", sagte sie, die Augen auf ihre Mutter gerichtet.
    „Prinzessin Torina?", schrie der Oberkönig mit donnernder Stimme. „Die Tochter Kareeds!" Dreea fasste sich und rannte mit ausgestreckten Armen über die Tribüne, während unter ihr ein unbeschreiblicher Tumult ausbrach. Gellende Schreie pflanzten sich vom Schlosshof bis zur Straße hinunter fort. Torina
    stürzte die Stufen zur Tribüne hinauf, und zitternd schloss die Königin ihre Tochter in die Arme. „Wie ist das möglich?", rief der Oberkönig. „Prinzessin Torina ist seit Jahren tot!"
    Torina drehte sich zu Dahmis um. „Nein. Ich bin aus Archeld geflohen." Sie zeigte auf Vesputo. „Vesputo, der Mörder meines Vaters, eignete sich die Krone an und inszenierte meinen Tod."
    Emid nahm alles wie verlangsamt wahr. Er sah Torina, die am ganzen Leib zitterte, und hinter ihr Vesputo, der sich mühsam aufrichtete. Und er gewahrte das Messer, noch bevor er es zückte. Mit sicherer Hand zog Emid seinen eigenen Dolch aus der Scheide. Ihm war, als öffne sich für ihn ein Fenster in die Unendlichkeit. Seine vielen Jahre als Ausbilder verliehen ihm Kraft und Schnelligkeit. Er erhob seinen Arm, zielte und warf. Vesputo lag ausgestreckt auf dem Boden der Tribüne. Ebenso verlangsamt nahm Emid wahr, wie Dreea sich die Hand vor den Mund schlug und der Arzt sich über Vesputo beugte. Er sah den dunklen Fleck, der sich rasch über Vesputos linke Brust ausbreitete, den Oberkönig, der sein großes Pferd heranlenkte und den Arzt befragte. Emid wusste, was der Arzt antworten würde. Solch einen Messerwurf konnte niemand überleben. Und Emid spürte einen schweren Stein von seinem Herzen rollen. Es machte ihm nichts aus, ins Gefängnis zu kommen oder von Soldaten, die Vesputo die Treue hielten, auf der Stelle getötet zu werden. Er hatte Torina das Leben gerettet. Er hatte den Mann getötet, der König Kareed ermordet hatte.
    Seine Jungen scharten sich um ihn und bildeten instinktiv eine schützende Hecke. Doch die Soldaten kamen nicht.
    Im Schlosshof herrschte eine unnatürliche Stille, die Menschen waren wie benommen. Die Augen der Soldaten waren starr vor Schreck, sie blickten zur Tribüne, wo der Arzt den Kopf schüttelte und Vesputos Gesicht bedeckte. Torina sah in ihrer abgerissenen Männerkleidung und dem wallenden roten Haar wie eine übernatürliche Erscheinung aus, und Dreea strahlte, als hätten alle Engel, zu denen sie je gebetet hatte, ihr einen Besuch abgestattet.
    Es war der Oberkönig, der als Erster wieder zur Besinnung kam. Er drehte sich um und sprach zu der im Schlosshof versammelten Menschenmenge. „Bürger von Archeld!" Er erhob die Arme, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Vesputo, den ihr als euren König kanntet, ist tot! Doch bevor ihr um ihn trauert, bedenkt, er war nie euer wahrer König. Er bemächtigte sich der Krone durch Verrat, Lüge und Mord."
    Der Oberkönig schwieg und wartete, bis seine Worte bis in den hintersten Winkel des Schlosshofes getragen worden waren.
    „Dies ist ein historischer Augenblick für Archeld! Eine junge Frau ist heimgekehrt - die

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