Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Auge der Seherin

Das Auge der Seherin

Titel: Das Auge der Seherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
Vom Netzwerk:
Schwäche. Als er das begriffen hatte, wuchs in seinem Herzen der Wunsch, sich und sein verlorenes Königreich zu beweisen. Er wollte diesen Barbaren zeigen, was er wert war.
    Vater, du hast mich gelehrt, kunstfertig den Bogen zu bauen und elegant den Pfeil abzuschießen, doch Kämpfen hast du mir nicht beigebracht. Der König, der dich mordete, hat mich das Kämpfen erlernen lassen. Niemals hatte Emid einen gelehrigeren Schüler als den einstigen Prinzen, der zum Frieden erzogen wurde.
    Landen unternahm alles, um bis zum großen Wettkampf so viel wie möglich zu lernen.
    Der Morgen des Turniertages zog strahlend und frisch herauf. Emid führte seine Schüler zum Turnierplatz. Der Platz war sorgfältig hergerichtet worden, der grüne
    Rasen gestutzt, so kurz es mit der Sense ging. Am Rand waren Tribünen aufgebaut worden, wo sich bunt gekleidete Menschen drängten, die unbeschwert lachten und redeten. Der erste Tag galt dem Bogenschießen. In regelmäßigen Abständen waren Zielscheiben aufgestellt und vor dem Schießplatz war ein Siegerpodest errichtet. Landen dachte an die Feste in Bellandra, an die von König Veldon veranstalteten Wettkämpfe, wo Höflichkeit vor Rivalität kam und niemals Blut vergossen wurde. Emid verteilte die Jungen ihrem Alter gemäß auf drei Mannschaften. Fast bewegungslos standen sie in der glühenden Sonne. Dann kamen König Kareed und Königin Dreea, zwischen ihnen Prinzessin Torina, und schritten zu ihrer Loge, die ihnen einen Blick über den ganzen Platz gewährte. Blumen und Jubelschreie flogen ihnen zur Begrüßen entgegen. Der Anblick der Prinzessin, die anmutig mit munteren Schritten daherging, gab Landen einen Stich ins Herz. Nicht lange war es her, da war auch er ein Prinz gewesen und war würdevoll an der Seite seines Vaters geschritten, ohne zu ahnen, wie schnell und grausam seinem Leben ein Ende gesetzt werden sollte.
    Kareed erhob sich und gebot mit einer Geste Ruhe. Als Landen die drohende, herrische Miene des Königs betrachtete, kam die Erinnerung an jenen Augenblick zurück, als er auf dem glänzenden Marmorboden stand und die Hand nach dem Schwert von Bellandra ausstreckte. Der Schmerz über die erfahrene Erniedrigung und den erlittenen Verlust flammte erneut in seinem Herzen auf.
    Einen Augenblick länger und ich hätte das Schwert in Händen gehalten.
    Mit mächtiger Stimme verkündete Kareed: „Das Turnier ist eröffnet!"
    Die Zuschauer warfen Tücher und Kappen in die Luft, pfiffen, johlten und klatschten. Landen kämpfte mit sich, um sich von der Stimmung nicht mitreißen zu lassen. Emid trat vor die Tribüne und verkündete mit lauter, klarer Stimme die Spielregeln. Jeder der Jungen musste vier Pfeile abschießen. Dann sollten die drei Besten aus jeder der drei Altersgruppen gegeneinander antreten und unter ihnen der Sieger ermittelt werden. Landen sah zu, wie die Kleinen, die Acht- bis Elfjährigen, umsichtig ihre Pfeile anlegten. Die Treffer wurden alle genau aufgezeichnet und dann durften Zeon, Westol und Frin dableiben, während die anderen das Spielfeld verlassen mussten. Landen sah, wie Eric Zeon ein Zeichen mit den letzten zwei Fingern der rechten Hand machte, was in Archeld so viel wie „gut gemacht" hieß. Westol und Frin gehörten beide Berons Lager an.
    Die Sonne brannte heiß und Landen wurde schwarz vor Augen. Er schüttelte die Schwäche ab. Jetzt kam seine Gruppe mit Schießen an die Reihe. Emid teilte die Bogen aus und Landen strich mit den Fingern leicht über das Holz und suchte nach Mängeln.
    Da er nichts fand, setzte er den Bogen auf dem Boden auf, denn plötzlich flimmerten schwarze Flecken vor seinen Augen und Himmel und Erde schienen ineinander zu stürzen. Er atmete tief durch und verscheuchte Schmerz und Benommenheit.
    Auf den Augenblick kommt es an. Der Augenblick ist unendlich.
    Die Sonne brannte erbarmungslos, es war kaum auszuhalten. Immer wieder durchlebte Landen den Augenblick, als Kareed das Schwert von Bellandra raubte und sein Heimatland zunichte machte. Fest umklammerte er den Bogen und zwang sich gleichmäßig zu atmen. Sein Atem ging immer noch zu flach und schnell. Jolten, der vor ihm an der Reihe gewesen war, ging mit großen Schritten an ihm vorbei. Seine Muskeln spannten und entspannten sich in stetigem Wechsel. Landen trat nach vorn. Aus der Hand eines jüngeren Jungen erhielt er einen Pfeil. Er wischte sich den tropfenden Schweiß von der Stirn und legte den Pfeil auf die Sehne. Dann visierte er das Ziel an, spannte und

Weitere Kostenlose Bücher