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Das Auge der Seherin

Das Auge der Seherin

Titel: Das Auge der Seherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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schnarchen. Zitternd vor Kälte kroch Landen aus dem Zelt und stand auf. Eine dichte Schneedecke lag auf dem Boden und es schneite immer noch. In der Luft lag das eigenartige, flüchtige Leuchten von nächtlichem Schneefall. Die Temperatur war gefallen. Landen kroch zu Andris, klopfte Schnee von seinen Decken und versuchte ihn zu wecken. Vergeblich. Landen gab es auf und bedeckte den Schläfer mit einer seiner eigenen Decken.
    Er begann nach trockenem Holz zu suchen, schob Steine beiseite und suchte den Boden darunter ab. Der Wind hatte den Schnee in jede Ritze getrieben. Seine Zähne klapperten, er schlug sich auf den Leib, um warm zu werden. Er sah sich um und versuchte zu erkennen, wo zwischen den gespenstischen Erhebungen und formlosen Vertiefungen der Ebene ein trockenes Plätzchen zu finden wäre. Die Kälte erdrückte ihn fast. Er stolperte und fiel der Länge nach hin, rappelte sich wieder auf und rieb sich das Schienbein. Er war über etwas Scharfkantiges gefallen. Er bückte sich und ertastete durch seine Handschuhe hindurch die Kiste, die er für den Oberkönig gestohlen hatte.
    Seine Handflächen begannen schmerzhaft zu brennen, als ströme die Kiste eine Art Hitze aus. Landen ließ sich nieder und lehnte sich an die Pyramide. Es bestand kein Zweifel, der Schatz gab Wärme ab und schenkte ihm ein seltsames Wohlgefühl. Er wollte aufstehen und Andris zu wecken, blieb aber einfach ruhig sitzen.
    In jener Nacht, inmitten der eisigen Ebene von Archeld, war ihm, als schleiche sich ein tröstendes Feuer in sein Leben und schmelze allen Kummer, alle Angst und alle Trauer aus ihm heraus. Er fühlte sich leicht und frei ums Herz wie in seiner Kindheit. Wie im Traum wurde er auf sanften Schwingen emporgehoben und in eine andere Welt getragen, wo die Luft von Liebe vibrierte. Auf einer Welle zeitloser Verzückung glitt Landen in den Schlaf.
    Sonnenlicht blendete ihn und er sah Andris vor Kälte rotes Gesicht über sich gebeugt.
    „Was machst du denn da auf dieser harten, kalten Kiste?", fragte er mit krächzender Stimme. „Nicht kalt", widersprach Landen und merkte gleichzeitig, dass die Kiste tatsächlich kalt war. Er fuhr mit den Fingern an den Rändern entlang. Kalt. Verwundert schüttelte er den Kopf. „Ich habe so schön geträumt."
    „Du bist ein merkwürdiger Kerl, Bellanes. Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der nach einer Nacht im Schnee so gut ausgesehen hat. Steh auf, Mann. Ich will wissen, ob dich deine Füße noch tragen." Der helle Tag passte zu Landens Stimmung. Er fühlte sich stark und wie neu geboren. Er lachte seinen Kameraden an und erhob sich leichtfüßig. Dann kniete er neben der Kiste nieder, wischte den Schnee fort und untersuchte die Schlösser.
    „Ach, Andris", sagte er, „ich wünschte, ich hätte nicht
    mein Wort gegeben."
    „Du willst den Schatz sehen?"
    Ja." Er klopfte auf die Pyramide. „Nun, mein Freund, wir müssen zusammenpacken und losreiten. Wenn wir in den Wald kommen, können wir Brennholz suchen.“

 
5. Kapitel
     
    „Bellanes!", rief der Oberkönig und schüttelte Landen die Hand. „Ich gestehe, ich bin überrascht, Euch hier zu sehen. Ich hatte erwartet, Ihr würdet Euch verspäten oder raten, mir den Schatz aus dem Kopf zu schlagen. Und jetzt seid Ihr hier, mit der Pyramidenkiste! Was Ihr vollbracht habt, ist nahezu unmöglich." Andris und Bellanes hatten den stählernen Behälter über die Ebene von Archeld bis in die Wälder von Glavenrell gebracht. Dort hatten sie an einem verfallenen, alten Schuppen Halt gemacht, dem vereinbarten Treffpunkt mit dem Oberkönig. Bis der König und General Larseid als Bauern verkleidet eintrafen, hatte Andris gezweifelt, ob dieser Ort wirklich der richtige Treffpunkt sein konnte. Doch als der Bauer seine Handschuhe abgestreift hatte und das Gold an seinen Fingern aufblitzte, wusste Andris, dass er den echten König vor sich hatte. Das Pferd des Königs entpuppte sich unter seinen schäbigen Decken als das edelste Pferd, das Andris je gesehen hatte.
    General Larseid fuhr ein klapperiges, mit Stroh beladenes Fuhrwerk, das von zwei weiteren Pferden gezogen wurde. König Dahmis führte einen edlen, braunen Hengst hinter sich her.
    Stumm vor Ehrfurcht stand Andris da. Die Gegenwart des Oberkönigs im geflickten Bauernmantel überwältigte ihn.
    Die Männer trafen sich im Freien, umgeben von Schneeverwehungen, denn der halb verfallene Schuppen bot wenig Schutz. Es hatte aufgehört zu schneien.
    Bellanes lachte, es war ein

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