Das Auge der Ueberwelt
demselben Amulett genießbar, wenn auch nicht schmackhaft geworden war, und schliefen.
Ein Gefühl drohender Gefahr weckte Cugel. Er sprang auf und bemerkte eine verdächtige Bewegung im Röhricht. Er weckte seine Gefährten, und sie griffen zu den Waffen, aber was immer die Bewegung erzeugt hatte, zog sich zurück. Es war Nachmittag; die Pilger gingen hinunter zum kahlen Strand, um sich über ihre Situation klarzuwerden. Sie spähten nach Norden und Süden, fanden aber keine Spur des alten Tempels. Entmutigung und Furcht machten sich in Gereiztheit Luft; es gab einen Streit, den Garstang nur mit Mühe schlichten konnte.
Dann kehrte Balch, der den Strand entlanggewandert war, in großer Erregung zurück: »Ein Dorf!«
Alle machten sich hoffnungsvoll auf den Weg, doch als sie näher kamen, erwies sich das Dorf als eine armselige Ansammlung von Schilfhütten, bewohnt von Echsenleuten, die ihre Zähne bleckten und mit geschmeidigen blauen Schwänzen schlugen. Die Pilger zogen sich zurück und setzten sich auf eine kleine Erhebung über dem Strand. Garstang, geschwächt und gebeugt von den Entbehrungen, die er erlitten hatte, ergriff als erster das Wort. Er versuchte seiner Stimme einen munteren, optimistischen Klang zu verleihen. »Wir sind angekommen, wir haben über die schreckliche Wüste triumphiert! Nun brauchen wir nur noch die heilige Stätte ausfindig zu machen und unsere Andacht zu verrichten; dann können wir nach Erze Damath zurückkehren und uns einer Zukunft erfreuen, über der Gilfigs Segen liegt!«
»Alles schön und gut«, murrte Balch, »aber wo kann die heilige Stätte zu finden sein? Auf beiden Seiten ist der gleiche öde Strand.«
»Wir müssen auf Gilfig vertrauen!« erklärte Subucule. Er umwickelte einen Pfeil mit seinem heiligen Band und rief: »Gilfig, o Gilfig! Führe uns zur heiligen Stätte! Weise uns den Weg mit diesem Zeiger!« Und er warf den Pfeil hoch in die Luft. Als er herunterfiel, zeigte die Spitze nach Süden. »Nach Süden müssen wir ziehen!« rief Garstang. »Im Süden ist das Ziel!«
Aber Balch und mehrere andere wollten davon nichts wissen. »Wir sind zu Tode erschöpft«, erklärte Balch. »Meiner Meinung nach hätte Gilfig uns zur heiligen Stätte führen sollen, statt uns in Ungewißheit zu lassen!«
»Gilfig hat uns den Weg gewiesen!« entgegnete Subucule. »Hast du nicht die Richtung des Pfeils gesehen?«
Balch stieß ein krächzendes Lachen aus. »Jeder hochgeworfene Stecken muß herunterkommen, und er kann genausogut nach Süden wie nach Norden zeigen.«
Subucule wich entsetzt zurück. »Du lästerst Gilfig!«
»Keineswegs; aber ich bin nicht sicher, daß Gilfig dich erhört hat. Wirf den Pfeil zehnmal hoch; wenn er beim Herabfallen jedesmal nach Süden zeigt, werde ich als erster dorthin aufbrechen.«
»Sehr gut«, sagte Subucule. Wieder rief er Gilfig an und warf den Pfeil in die Höhe, aber als er zu Boden fiel, zeigte die Spitze nach Norden.
Balch sagte nichts. Subucule zwinkerte, dann wurde er rot im Gesicht. »Gilfig hat keine Zeit für Spiele. Er hat uns einmal den Weg gewiesen, und das muß genügen.«
»Ich bin nicht überzeugt«, sagte Balch. Mehrere stimmten ihm zu.
Garstang hob beschwörend die Hände. »Wir sind weit gereist; wir haben uns zusammen abgemüht, wir haben gemeinsam gekämpft und gelitten – laßt uns jetzt nicht in Zwietracht auseinanderfallen!«
Balch und die anderen zuckten nur die Schultern. »Wir werden nicht blindlings nach Süden ziehen.«
»Was wollt ihr dann tun? Nach Norden gehen? Oder nach Erze Damath zurückkehren?«
»Nach Erze Damath? Ohne Nahrung und mit nur vier Tragtieren?«
»Dann laßt uns auf der Suche nach der heiligen Stätte südwärts wandern.«
Wieder zuckte Balch störrisch die Schultern, worauf Subucule zornig wurde. »So sei es! Wer nach Süden zieht, auf diese Seite, wer sich Balch anschließen will, auf jene!«
Garstang, Cugel und Casmyr gesellten sich zu Subucule; die anderen blieben bei Balch, eine Gruppe von elf Männern, die nun ihre Köpfe zusammensteckte, während die vier treuen Pilger besorgt zusahen. Schließlich hatten die elf ihre Beratung beendet. »Lebt wohl.«
»Wohin geht ihr?« fragte Garstang.
»Das tut nichts zur Sache. Sucht eure heilige Stätte, wir gehen unserer eigenen Wege.« Nach kühlem Abschied marschierten sie zum Dorf der Echsenleute, wo sie die Männer abschlachteten, den Frauen die Zähne feilten, sie in Schilfgewänder hüllten und sich als Herren des Dorfes
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