Das Auge des Basilisken
Alexander sie noch nie so aufgeregt gesehen. Frau Tabidze blickte auf, bemerkte, daß sie stand, und setzte sich in einiger Verwirrung wieder hin.
»Ich hätte schwören können …« Sie brach ab, zwinkerte und versuchte die Fassung zurückzugewinnen. »Vergeben Sie mir, Sie alle – die Karten bereiten gelegentlich Überraschungen. Nun … meine Liebe, ich habe gute Nachricht für Sie. Bald werden Sie eine sehr tugendhafte, mutige und menschliche Tat verrichten, die Ihrem Namen Ehre machen wird. Und dies wird schon bald geschehen. Innerhalb von vier Wochen. Nein, noch eher«, fügte sie in momentaner Beunruhigung hinzu, gewann ihre gewohnte Festigkeit aber rasch zurück. »Die Vorstellung ist zu Ende. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.«
Frau Korotschenko erhob sich beinahe so schnell, wie Frau Tabidze es getan hatte, und marschierte in den geräumigen Korridor davon, ohne nach rechts oder links zu blicken. Nachdem er lange genug gewartet hatte, damit kein Argwohn aufkommen konnte, ging Alexander ihr nach, aber es schien, als ob er ihr auch Zeit genug gelassen hätte, zu verschwinden. Sie war im östlichen Gebäudeflügel nicht zu finden noch konnte er ihr helles Kleid im dunklen Park ausmachen. Bei seiner Rückkehr sah er, daß der Stuhl neben der Säule leer war, und so blieb verborgen, ob Korotschenko oder ein anderer dort gesessen hatte.
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DREIZEHN
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Die Zeichnung der männlichen Genitalien am Bretterzaun der Korotschenkos war mit dunkler Farbe oder Beize überstrichen. Als Alexander sich dem Haus zu Fuß näherte (er hatte Polly in den Stallungen an der Landstraße von Northampton zurückgelassen), überlegte er, ob es dort nicht Dutzende oder gar Hunderte solcher Zeichnungen geben könnte, eine unter der anderen, das Werk ungezählter nachmittäglicher Besucher, auf Anordnung des Ehemannes oder nach der Laune der Frau regelmäßig ausgelöscht, doch in gewissem Sinne immer noch dort. Er erinnerte sich undeutlich eines Aphorismus’ Latour-Ordschonikidses, wonach jedes Liebesverhältnis uns etwas hinzufügt, was keine spätere Erfahrung auslöschen kann. Er fragte sich, was Frau Korotschenko ihm hinzugefügt haben mochte.
Neue Information in dieser Sache war nicht gleich zu erlangen. Wie bei seinem vorausgegangenen Besuch, war die Tür nicht verschlossen, blieb sein Läuten unbeantwortet. Er trat ein und ging ein paar Schritte durch die fliesenbelegte Diele, späte durch die Glastür nach rechts und sah niemanden, spähte nach links und sah jemanden, dieselbe Jemandin, die letztes Mal an der Wand gelehnt hatte. Diesmal saß sie statt dessen an einem Eßtisch, war aber wieder oder (ihr kurzes Erscheinen vor der Wahrsagerin schien kaum zu zählen) immer noch nackt. Er eilte hinein und stand vor ihr, nach kurzer aber intensiver Erfahrung von dem Bewußtsein erfüllt, daß es nicht taugte, sie an sich zu reißen, bis sie zu verstehen gegeben hätte, wie sie ergriffen zu werden wünschte. Mit einer Stimme, als sei sie im Begriff, ohnmächtig vom Stuhl zu sinken, forderte sie ihn zum Niedersetzen auf und zeigte auf einen Stuhl, der seitwärts am Tisch stand und auf dem ein Teller mit einer rosa bestrichenen Toastscheibe, ein kleines Glas, wahrscheinlich mit Wodka, eine Packung Fribourg und Treyers Virginia Nr. 1-Zigaretten und ein goldenes Feuerzeug sich befanden. Er wußte, daß es selbst für Zigaretten eine sehr teure Marke war, mehr als 20.000 Pfund für eine Zwanzigerschachtel, was dem vollen Tageslohn eines Facharbeiters entsprach. Es war kein Wunder, daß die Leute selten Zigaretten …
Seine Gedanken schweiften (zu nichts Besonderem, nur fort), als sie sich nach Beendigung der notwendigen Vorbereitungen unter Schnaufen und Ächzen rittlings auf ihn niederließ. In dem Augenblick, da seine Gedanken sich wieder zu sammeln begannen, was mit einer Art Erkenntnis der Tatsache verbunden war, daß bisher alles seltsam schlicht zugegangen war, griff sie zur Seite, nahm die Toastscheibe vom Teller und stopfte sie ihm in den Mund. Kein Gourmet hatte sich jemals intensiver auf den Akt des Essens konzentriert als Alexander es jetzt tat; obwohl sein Speichelfluß zu wünschen übrig ließ, würgte er schließlich alles hinunter und bemerkte sogar, daß der rosa Aufstrich Fisch war, wahrscheinlich eine Art Lachspaste. Der Wodka folgte, bis zum letzten Tropfen, zu welchem Zweck sie ihm das Glas an die Lippen hielt und mit der anderen Hand seinen Hinterkopf zurückzog. Wie durch ein Wunder, oder eine
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