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Das Auge des Basilisken

Das Auge des Basilisken

Titel: Das Auge des Basilisken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kingsley Amis
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der Gymnastik verwendete.
    Was war mit ihr los? Aber so konnte man nicht fragen; das implizierte, daß es eine anerkannte Norm erotischen Verhaltens gebe, die alle anderen Formen zu Abweichungen machte, und wenn das zwanzigste Jahrhundert schon nichts anderes bewirkt hatte, so hatte es wenigstens diese letzte und stärkste Zitadelle der bürgerlichen Moral niedergerissen – freilich ohne etwas an ihre Stelle zu setzen. Jedenfalls war es schwierig, eine Frau zu lieben, die einschmeichelnde Worte ignorierte, von Liebkosungen nichts wissen wollte und deren Interessen sich auf diese oder jene Form der Triebbefriedigung beschränkten. Zwar hatte Latour-Ordschonikidse zu Protokoll gegeben, daß derjenige, dem sich auf dem Weg zur Liebe Hindernisse auftürmten, zehnmal so verdienstvoll sei wie jener, dessen Vorgehen unbehindert blieb, aber was hatte das schon zu bedeuten? Alexander spürte, daß er auf diese Art von Verdienst verzichten konnte; er wollte, daß Frau Korotschenko ihn küßte und ihm den Nacken streichelte und nicht einmal sagte, daß sie ihn liebe, sondern bloß, daß er ein sehr lieber Junge sei. Er schaute zum Fenster hinaus in den strahlenden Tag und fühlte, wie ihn eine Niedergeschlagenheit überkam. Dann sagte er sich, er solle nicht kindisch sein; ein reifer Mann nehme, was sich ihm biete, in der dargebotenen Form und vergeude keine Zeit damit, sich zu grämen, daß es nicht anders sei. Wenn sich zeigte, daß er ihrer Reize überdrüssig zu werden begann, würde es das Signal zum Weiterziehen sein, aber vorläufig konnte davon keine Rede sein.
    Das laute Quietschen eines Schweines von der anderen Seite des Hauses rief ihn zurück in seine unmittelbare Situation. Die zwei Minuten mußten längst um sein. Er ging hinaus, die Treppe hinauf, den Korridor entlang und in die Schlafkammer an seinem Ende. Hier lag Frau Korotschenko ausgestreckt auf dem Bett, mit Handgelenken und Fußknöcheln an die vier Pfosten gefesselt und einen Knebel in Gestalt eines großen Halstuches um das Gesicht gebunden. Im Rahmen ihrer beschränkten Möglichkeiten warf sie sich auf dem Bett herum. Alexander knöpfte seinen Uniformrock auf. Sofort schüttelte sie heftig den Kopf und machte feindselige Geräusche in den Knebel. Auch er schüttelte den Kopf und sagte ihr, diesmal sei er an der Reihe. Als er sich auskleidete, überlegte er flüchtig, wie sie es fertiggebracht haben mochte, sich so zu fesseln. Ein Ziehknoten, sagte er sich; für das zweite Handgelenk hatte sie einen Ziehknoten verwendet. Erst eine Weile später hatte er Muße, darüber nachzudenken, daß eine Hand die andere mit einem Ziehknoten festbinden konnte, es aber ziemlich schwierig finden würde, sich selbst anzubinden, um so mehr, als das Bindematerial nicht Seil noch Strick war, sondern (wie er jetzt sah) aus Taschentüchern und weiteren Schals bestand. Vielleicht, um ein Wundreiben zu verhindern. Er setzte sich auf die Bettkante und löste den Knebel.
    Zum ersten Mal, seit sie sich kannten, lachte Frau Korotschenko; es war ein gemütliches, beinahe fröhliches Geräusch. Ihr Blick ging an ihm vorbei, und er hörte hinter sich ein ähnliches Lachen. Ein Mädchen von ungefähr zwölf Jahren stand da; es war nackt. Ohne zu wissen, wer sie war, erkannte er sie sofort. Wo hatte er sie gesehen? Auf der Fotografie, die ihm bei seinem letzten Besuch in diesem Raum aufgefallen war; ein oder zwei Jahre jünger, aber dieselbe Person. Und dann, als sie näher trat und ihn grinsend von Kopf bis Fuß musterte, und er ihre häßlichen großen Ohren sah, wußte er, wer sie war.
    »Gütiger Himmel«, murmelte er und riß das Tuch an sich, das als Knebel gedient hatte, um seine Blöße zu bedecken.
    »Das ist nicht nötig«, sagte Frau Korotschenko. »Dascha hat schon Dutzende gesehen, nicht wahr, Liebling?«
    »Natürlich, Mama.«
    Alexander stieß das Kind beiseite und raffte seine Kleidungsstücke zusammen.
    »Was tust du da? Würdest du nicht gern auch nett zu Dascha sein?«
    »Nein danke. Ich glaube nicht, daß ich das könnte.«
    Frau Korotschenko lachte wieder und wartete, bis er bei der Tür war, bevor sie sagte: »Willst du wirklich, daß ich dir diese Liste beschaffe?«

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VIERZEHN
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    »God save the Queen!«
    »Lang lebe die gnädige Königin!«
    »Hip hip hurra!«
    Das Wohnzimmer mit den hängenden Blumentöpfen und dem Wintergarten an einem Ende hallte von Hochrufen, Gelächter und allgemeiner lauter Unterhaltung wider. Fähnrich Petrowskys

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