Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Auge des Basilisken

Das Auge des Basilisken

Titel: Das Auge des Basilisken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kingsley Amis
Vom Netzwerk:
Ihnen. Verbindlichen Dank.«
    »So habe ich sie noch nie erlebt«, sagte Tatjana Petrowsky zu ihrem Mann. »Als ob sie in diesen Karten wirklich etwas gesehen hätte.«
    »Oh, die alte Agatha ist sicher eine großartige Schauspielerin.«
    »Ich glaube nicht, daß es das ist, oder nicht nur das. Da geht etwas Seltsames vor.«
     
    Alexander hatte einen schlechten Abend hinter sich: keine gute Gelegenheit, sich in Szene zu setzen, ein unangenehmes, geradezu peinliches Gespräch mit den Eltern, und nun Langeweile ohne Ende. Er erwog, ob er sich betrinken oder die Anwesenden als unaufgeklärt und abergläubisch brandmarken solle, bevor er die Treppe hinaufstürmte und sich schlafen legte (was jedenfalls schneller ginge), als Sonja Korotschenko auf dem Weg zum leeren Stuhl an Frau Tabidzes Kartentisch an ihm vorbeiging. Er machte kein Geräusch, fuhr aber so zusammen, daß sein Schuh auf den Steinfliesen scharrte. Hätte man ihn in einem früheren Stadium des Abends gefragt, so wäre er mit voller Überzeugung der Meinung gewesen, daß sie nicht gekommen sei. Wo war ihr Mann? Nicht in Sicht, oder nicht identifizierbar in Sicht; ein paar Hosenbeine und der angewinkelte Ellbogen hinter einer nahen Säule konnten ohne weiteres ihm gehören. Einige Stimmen fragten mehr oder weniger laut, wer diese Frau sei, die (urteilte man nach der Haltung ihrer bloßen Schultern) entschlossen war, sich die Karten schlagen zu lassen.
    Einen Augenblick lang dachte Alexander daran, sich so still und unauffällig wie möglich zurückzuziehen. Es war unmöglich, oder zumindest äußerst unwahrscheinlich, daß sie von seiner Anwesenheit nichts wissen sollte, aber durchaus möglich, daß sie innerhalb einer Minute etwas verraten oder sonstwie enthüllen würde (und sei es, indem sie sich auf seine Genitalien stürzte), was er gern weiterhin geheimgehalten hätte, und zumindest ein Teil dieses Risikos ließe sich vermeiden, wenn er sich rechtzeitig entfernte. Und doch – das Rampenlicht war das Licht der Öffentlichkeit, in welchen Farben es einen auch zeigte, und ihr Benehmen würde durch den Prozeß des Weitererzählens ohnedies in jeder nur denkbaren Weise verzerrt werden und an Glaubwürdigkeit verlieren. Frau Tabidzes Gesichtsausdruck mühsam beherrschter Beunruhigung bewog ihn schließlich zu bleiben, zusammen mit dem Umstand, daß er von seinen Eltern etwas davon gehört hatte, was sie über die Dame im ausgeschnittenen Musselinkleid wußten – demselben, glaubte er sich zu erinnern, das sie sich bei ihrem letzten Besuch im Haus so bereitwillig über den Kopf gezogen hatte. Es konnte leicht ihr einziges Kleidungsstück sein, wenn sie zu Hause die ganze Zeit nackt herumlief, und nicht nur, wenn sie Besucher empfing.
    Nach gründlichem Mischen und Abheben legte Frau Tabidze die Karten aus und deckte die oberste Karte eines jeden Stoßes auf. Alexander sah sie auf der Lippe kauen und verkniff sich ein Grinsen. Nachdem sie sich geräuspert hatte, sagte sie ziemlich heiser:
    »Als Sie sehr jung waren, machten Sie eine lange Reise. Sie und Ihre Eltern kamen aus …«
    »Ich will nichts über die Vergangenheit hören. Ich weiß über die Vergangenheit Bescheid.« Frau Korotschenko sprach, als ob ihr Mund ausgetrocknet wäre. »Erzählen Sie mir von der Zukunft!«
    »Wie Sie wünschen … Sie werden ein langes und glückliches Eheleben führen. Sie werden Ihrem Mann weiterhin eine Quelle der Stärke und des Trostes sein. Im Laufe der Jahre werden Sie …«
    »Das ist die Art von Leben, wie es viele Leute haben. Werde ich denn nichts erleben, was anderen nie passiert? Und sollte ich nie etwas tun? Sicherlich werde ich irgend etwas bewerkstelligen, so trivial es auch sein mag, was sonst niemand getan hat?«
    Die unhöfliche Art ihres Sprechens, die laute, unangenehm knarrende, betonungslose Stimme schien den negativen Eindruck zu verstärken, den sie auf die Zuhörer machte. Alle Umstehenden verstummten, mit Ausnahme des andauernden Husten eines enorm beleibten, glotzäugigen alten Mannes, dessen Rüschenhemd bis zum Nabel offen war. Man hörte deutlich das Geräusch, mit dem Frau Tabidze die Karten aufdeckte. Als sie zu den letzten kam, saß sie einen Moment lang still, bevor sie sie aufdeckte. Was sie dann sah oder der Konstellation entnahm, ließ sie mit einer Verblüffung aufspringen, die sehr viel akuter war als jene, die sie vor einigen Minuten über die Zukunft des Regierungsbeauftragten gezeigt hatte. In den Jahren ihrer Bekanntschaft hatte

Weitere Kostenlose Bücher