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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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hatte, folgen ihr zweimal in das schwarze Wasser des Flusses und spüren, wie die Stricke an den Gewichten gerade in dem Moment reißen, als ihre Lungen schon zu platzen drohen. Wie unsichtbare Schatten folgen sie ihr zu Hurra-Pelles Büßerbank, lauschen der mystischen Umarmung der Erlösung und stehen am Ende neben ihr, als sie die Ameisen auf dem Küchenfußboden entdeckt.
    In diesem Jahr keimt eine eigentümliche Verliebtheit zwischen den dreien.
    Eine Wildblume im Haus am südlichen Ufer des Flusses.

A UF EINER verschmierten Landkarte setzt Hans Olofson einen Finger auf den Namen Mutshatsha. »Wie komme ich dorthin?« fragt er.
    Es ist sein zweiter Morgen in Afrika, sein Bauch rumort, und der Schweiß läuft ihm unter dem Hemd in Strömen hinab.
    Er steht an der Rezeption des Ridgeway Hotel. Auf der anderen Seite sitzt ein alter Afrikaner mit weißen Haaren und müden Augen. Sein Hemdkragen ist ausgefranst, seine Uniform ungewaschen. Hans Olofson kann der Versuchung nicht widerstehen, sich über die Theke zu beugen, um nachzuschauen, was der Mann an den Füßen trägt.
    Wenn der afrikanische Kontinent in ähnlicher Verfassung ist wie das Schuhwerk seiner Einwohner, hat er seine Zukunft schon hinter sich, und alles ist rettungslos verloren, hat er im Fahrstuhl nach unten gedacht. Die vielen schadhaften Schuhe, die er sieht, lassen eine vage Angst in ihm aufkeimen.
    Der alte Mann ist barfuß.
    »Möglich, daß ein Bus fährt«, antwortet der Mann. »Möglich, daß ein Lastwagen fährt. Früher oder später kommt bestimmt auch ein Auto.«
    »Wie findet man den Bus?« fragt Hans Olofson.
    »Man stellt sich an den Straßenrand.«
    »An einer Haltestelle?«
    »Wenn es eine Haltestelle gibt. Manchmal gibt es eine, meistens nicht.« Hans Olofson muß erkennen, daß er kaum mehr als diese vagen Auskünfte bekommen wird. Er spürt etwas Unbestimmtes, Flüchtiges im Leben der Schwarzen, das ihm im Vergleich zu der Welt, aus der er selbst stammt, völlig fremd ist.
    Ich habe Angst, denkt er. Afrika macht mir angst, seine Hitze, seine Gerüche, seine Menschen mit ihren schlechten Schuhen. Ich falle hier zu sehr auf. Meine Hautfarbe leuchtet, als wäre ich eine brennende Kerze im Dunkeln. Wenn ich das Hotel verlasse, werde ich verschwinden, ohne Spuren zu hinterlassen.
    Der Zug nach Kitwe geht am Abend. Den Tag verbringt Hans Olofson auf seinem Zimmer. Lange steht er am Fenster und beobachtet einen Mann in abgerissenen Kleidern, der mit einem langen Messer mit breiter Klinge das Gras um ein großes Holzkreuz schneidet, und Menschen, die mit unförmigen Bündeln auf den Köpfen vorbeigehen.
    Gegen sieben Uhr abends verläßt er sein Zimmer und muß auch für die Nacht bezahlen, in der er es nicht mehr benutzen wird. Als er aus dem Hotel tritt, wird er sofort von schreienden Taxifahrern umringt.
    Warum machen sie nur einen solchen Lärm, denkt er, und eine erste Welle der Verachtung erfaßt ihn.
    Er geht zu einem Wagen, der noch einigermaßen intakt zu sein scheint, und nimmt den Koffer mit auf den Rücksitz. Sein Geld hat er in den Schuhen und in der Unterhose versteckt. Als er auf der Rückbank Platz nimmt, bereut er die Wahl seiner Verstecke bereits. Die Geldscheine kleben und drücken am Körper.
    Im Bahnhof herrscht ein wenn möglich noch größeres Chaos als bei seiner Ankunft am Flughafen. Das Taxi setzt ihn mitten in einem Gewirr von Menschen, Kleiderbündeln, Hühnern und Ziegen, Wasserverkäufern, Feuern und verrosteten Autowracks ab. Der Bahnhof ist praktisch unbeleuchtet. Die wenigen Lampen sind entweder durchgebrannt oder abmontiert worden.
    Er kommt kaum dazu, das Taxi zu bezahlen, da ist er auch schon von einer Schar schmutziger Kinder umgeben, die sein Gepäck tragen wollen oder ihn anbetteln. Ohne zu wissen, wohin er sich wenden muß, eilt er davon; durch die Geldscheine sind seine Füße schon wundgelaufen. In einer Wand entdeckt er eine klaffende Öffnung, über der ein halb abgeblättertes Schild verkündet, daß es sich um den Fahrkartenschalter handelt. Der Wartesaal ist überfüllt, es riecht nach Urin und Dung, und er stellt sich dort an, wo er die Schlange vor dem Schalter vermutet. Ein Mann ohne Beine schiebt sich auf einem Holzwägelchen vorbei und bietet einen schmutzigen Fahrschein nach Livingstone an, aber Hans Olofson schüttelt den Kopf, dreht sich um, zieht sich in sich selbst zurück.
    Ich hasse dieses Chaos, denkt er. Man kann hier unmöglich den Überblick behalten. Ich bin Zufällen

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