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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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ausgeliefert und Menschen, die sich auf Holzwägelchen vorwärtsbewegen.
    Er löst eine Fahrkarte nach Kitwe, geht auf den Bahnsteig hinaus, an dem ein Zug mit Diesellokomotive steht, und betrachtet mißmutig, was ihn erwartet. Die heruntergekommenen, bereits überfüllten Waggons wirken wie zerschlissene Pappkartons mit Spielzeugfiguren.
    Plötzlich entdeckt er zwei Weiße, die in den ersten Wagen hinter der Lokomotive steigen. Als wären alle Weißen in dieser schwarzen Welt seine Freunde, läuft er ihnen hinterher und stolpert beinahe über einen Mann, der mitten auf dem Bahnsteig schläft.
    Er hofft, daß seine Fahrkarte ihm den Zutritt zu diesem Waggon erlaubt, und sucht so lange, bis er das Abteil gefunden hat, in dem die Weißen, denen er gefolgt ist, gerade damit beschäftigt sind, ihre Koffer im Gepäckfach zu verstauen.
    Betritt man in einem schwedischen Zug ein Abteil, überkommt einen meistens das Gefühl, mutwillig in das Wohnzimmer eines Menschen einzudringen, denkt er.
    In diesem Abteil empfangen ihn hingegen freundlich lächelnde Gesichter, die ihm zunicken. Er stellt sich vor, durch seine Gegenwart eine in Auflösung begriffene und ständig schrumpfende weiße Armee zu verstärken.
    Die beiden Reisenden sind ein älterer Mann und eine jüngere Frau, er vermutet, Vater und Tochter. Hans Olofson verstaut sein Gepäck und setzt sich schweißgebadet hin. Die junge Frau sieht ihn aufmunternd an, während sie ein Buch und eine Taschenlampe auspackt.
    »Ich komme aus Schweden«, sagt er, dem plötzlichen Bedürfnis nachgebend, sich mit jemand zu unterhalten. »Ich nehme an, dieser Zug fährt nach Kitwe?«
    »Aus Schweden«, erwidert die Frau. »How nice.«
    Der Mann hat sich eine Pfeife angesteckt und lehnt sich in seiner Ecke zurück. »Masterton«, sagt er. »Ich heiße Werner Masterton, und das ist meine Frau Ruth.«
    Hans Olofson stellt sich ebenfalls vor und ist unendlich dankbar, in Gesellschaft von Menschen zu sein, die ordentliche Schuhe an den Füßen tragen.
    Plötzlich setzt sich der Zug mit einem Ruck in Bewegung, und der Lärm auf dem Bahnhof schwillt zu einem gewaltigen Crescendo an. Ein Beinpaar taucht vor dem Fenster auf, als ein Mann auf das Waggondach klettert. Ihm folgen ein Korb mit Hühnern und ein Sack mit getrocknetem Fisch, der etwas aufreißt und den Geruch von Verwesung und Salz verströmt.
    Werner Masterton wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. »Zehn Minuten zu früh«, sagt er. »Entweder ist der Lokomotivführer betrunken oder er will schnell nach Hause.«
    Rauchschwaden ziehen vorbei, Feuer flackern entlang der Gleise und die Lichter von Lusaka bleiben allmählich zurück.
    »Wir fahren sonst nie mit dem Zug«, sagt Werner Masterton aus seiner Ecke heraus. »Einmal alle zehn Jahre vielleicht. Aber in ein paar Jahren wird es in diesem Land kaum noch Züge geben. Nach der Unabhängigkeit ist alles verfallen. Innerhalb von fünf Jahren ist hier fast alles zusammengebrochen. Alles wird gestohlen. Wenn dieser Zug nachts anhält, was er mit Sicherheit tun wird, dann um dem Lokomotivführer die Möglichkeit zu geben, Treibstoff aus dem Tank der Lokomotive zu verkaufen. Die Afrikaner kommen mit Kanistern. Die grünen Scheiben an den Ampeln sind auch verschwunden. Kinder haben sie gestohlen und versuchen, sie den Touristen als Smaragde zu verkaufen. Aber bald wird es auch keine Touristen mehr geben. Man hat die wilden Tiere abgeschossen, ausgerottet. Schon seit über zwei Jahren habe ich von keinem Menschen mehr gehört, der einen Leoparden gesehen hätte. Er macht eine Geste in Richtung Dunkelheit. »Hier gab es Löwen«, sagt er. »Hier zogen früher riesige Elefantenherden durch. Heute ist davon nichts mehr geblieben.«
    Die Mastertons besitzen eine große Farm in der Nähe von Chingola, erfährt Hans Olofson im Laufe ihrer langen nächtlichen Reise nach Kitwe. Anfang der fünfziger Jahre kamen Werner Mastertons Eltern aus Südafrika nach Sambia. Ruth ist die Tochter eines Lehrers, der 1964 nach England zurückging. Die beiden lernten sich bei Freunden in Ndola kennen und heirateten, trotz des großen Altersunterschieds.
    »Die Unabhängigkeit war eine Katastrophe«, sagt Werner Masterton und bietet ihm aus seinem Flachmann Whisky an. »Die Afrikaner stellten sich unter Freiheit vor, daß keiner mehr arbeiten muß. Niemand gab mehr Befehle, niemand fand, daß er etwas tun mußte, wenn es keiner verlangte. Jetzt lebt das Land von den Einnahmen aus dem Kupferbergbau. Aber was ist,

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