Das Auge des Leoparden
Vergangenheit zurückversetzt.
Auf der großen Terrasse, die sich über die gesamte Vorderseite des Hauses erstreckt, trinkt er Whisky mit Ruth und Werner Masterton. Sie haben sich gerade erst mit ihren Gläsern niedergelassen, als das Licht von Autoscheinwerfern über den Weiden flackert, und er hört das Ehepaar Vermutungen darüber anstellen, wer das sein könnte.
Ein Wagen hält unterhalb der Terrasse, und ein Mann unbestimmten Alters kommt zu ihnen hinauf. Im gedämpften Licht der Petroleumlampen sieht Hans Olofson, daß der Mann rote Brandwunden im Gesicht hat. Sein Schädel ist völlig kahl, und er trägt einen schlechtsitzenden Anzug. Er stellt sich als Elvin Richardson vor, Farmer wie die Mastertons.
Wer bin ich, denkt Hans Olofson. Eine zufällige Reisebekanntschaft aus dem Nachtzug von Lusaka nach Kitwe?
»Viehdiebe«, sagt Elvin Richardson und läßt sich mit einem Glas in der Hand schwer auf einen Stuhl fallen.
Hans Olofson hört zu, als wäre er ein Kind, das gebannt einem Märchen lauscht.
»Gestern nacht haben sie unten bei Ndongo den Zaun durchschnitten«, fährt Elvin Richardson fort. »Ruben White haben sie drei Kälber gestohlen. Die Tiere wurden an Ort und Stelle geschlachtet. Die Wachposten haben wie üblich nichts bemerkt. Wenn das so weitergeht, müssen wir Patrouillen organisieren und ein paar Diebe erschießen, damit sie sehen, daß wir es ernst meinen.«
Die Konturen schwarzer Diener sind in den Schatten auf der Terrasse zu erkennen.
Worüber reden die Schwarzen, fragt sich Hans Olofson. Wie beschreibt Louis mich, wenn er mit seinen Freunden am Feuer zusammensitzt? Hat er meine Unsicherheit bemerkt? Wetzt er ein Messer, das ganz allein für mich bestimmt ist?
Schwarze und Weiße scheinen sich in diesem Land nicht miteinander zu unterhalten. Ihre Welt ist gespalten, es fehlt an gegenseitigem Vertrauen. Über den Abgrund hinweg werden Befehle erteilt, das ist alles.
Er verfolgt das Gespräch und stellt fest, daß Ruth Masterton aggressiver ist als ihr Mann. Während Werner meint, daß sie noch abwarten sollten, ist sie dafür, gleich zu den Waffen zu greifen.
Er zuckt zusammen, als einer der schwarzen Diener sich über ihn beugt, um sein Glas aufzufüllen. Schlagartig wird ihm bewußt, daß er Angst hat. Die Terrasse, die blitzschnell einbrechende Dunkelheit, das sorgenvolle Gespräch; all das verunsichert ihn. Er empfindet die gleiche Hilflosigkeit wie als Kind, wenn die Balken im Haus am Fluß sich bei Kälte bogen.
Man rüstet sich hier für einen Krieg, denkt er. Aber was mir wirklich angst macht ist die Tatsache, daß die Mastertons und der fremde Mann dies überhaupt nicht zu merken scheinen.
Beim Abendessen wendet sich das Gespräch anderen Themen zu. Hans Olofson fühlt sich wohler, seit sie in einem Zimmer sitzen, in dem elektrisches Licht die Schatten vertreibt, Licht, in dem sich die schwarzen Bediensteten nicht verbergen können.
Das Gespräch bei Tisch kreist um alte Zeiten und um Menschen, die längst nicht mehr leben.
»Wir sind nun einmal, wie wir sind«, meint Elvin Richardson. »Es ist sicher verrückt von uns, auf unseren Farmen zu bleiben. Nach uns kommt nichts mehr. Wir sind die Letzten.«
»Nein«, widerspricht Ruth Masterton. »Da irrst du dich. Eines Tages werden die Schwarzen an unseren Türen betteln und uns anflehen zu bleiben. Die junge Generation sieht doch, wohin die Entwicklung geht. Die Unabhängigkeit war ein bunter Stoffetzen, der an eine Stange gehängt wurde, eine feierliche Proklamation leerer Versprechungen. Heute sehen die jungen Menschen, daß in diesem Land nur noch das funktioniert, was nach wie vor in unseren Händen ist.«
Hans Olofson fühlt sich auf einmal betrunken und glaubt, etwas sagen zu müssen. »Sind hier eigentlich alle so gastfreundlich?« fragt er. »Ich könnte doch auch ein steckbrieflich gesuchter Verbrecher sein. Gott weiß wer mit einer rabenschwarzen Vergangenheit.«
»Sie sind ein Weißer«, erwidert Werner Masterton. »In diesem Land reicht das als Garantie.«
Elvin Richardson verabschiedet sich nach dem Abendessen, und Hans Olofson versteht, daß die Mastertons zeitig zu Bett gehen. Vergitterte Türen werden sorgfältig abgeschlossen, Schäferhunde bellen draußen in der Dunkelheit, und Hans Olofson erhält Instruktionen, damit er keinen Alarm auslöst, falls er nachts in die Küche gehen sollte. Gegen zehn liegt er in seinem Bett.
Ich bin von Zäunen umgeben, denkt er. Das Haus ist ein weißes Gefängnis in
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