Das Auge des Leoparden
ziert.
Der Tod ist flüchtiger, ein kühler Wind, der über den Fluß heranweht, ohne daß das Wasser sich kräuselt. Näher kommt er dem Tod in diesem Frühjahr nicht, ehe die große Katastrophe eintritt und der Tod in sein gellendstes Horn bläst.
Dennoch bleibt ihm dies in Erinnerung.
Viel später, als die afrikanische Nacht ihn umschließt und seine Kindheit so weit entfernt ist wie das Land, in dem er damals lebte, wird er sich ins Gedächtnis rufen, worüber sie auf den Steinen am Fluß oder in Janines Küche gesprochen haben. Wie an einen schemenhaften Traum erinnert er sich an das Jahr, in dem Janine ihnen das Tanzen beibrachte und sie in der Dunkelheit vor ihrem Haus standen und »A Night in Tunisia« hörten.
I N KITWE kommt ihnen ein lachender Afrikaner entgegen.
Hans Olofson fällt auf, daß er Turnschuhe ohne Löcher oder abgeschnittene Fersen trägt.
»Das ist Robert«, sagt Ruth Masterton. »Unser Fahrer. Der einzige auf der Farm, auf den wir uns verlassen können.«
»Wie viele Angestellte haben Sie?« sagt Hans Olofson.
»280«, antwortet Ruth Masterton.
Er klettert auf den Rücksitz eines arg ramponierten Jeeps.
»Sie haben doch Ihren Paß griffbereit?« fragt Werner Masterton ihn. »Wir werden mehrere Straßensperren passieren müssen.«
»Wonach suchen sie?« erkundigt sich Hans Olofson.
»Schmuggelware auf dem Weg in den Kongo«, sagt Ruth Masterton, »südafrikanische Spione oder Waffen. Aber im Grunde wollen sie nur um Essen und Zigaretten betteln.«
Die erste Straßensperre erreichen sie unmittelbar nördlich von Kitwe. Gekreuzte Baumstämme, mit Stacheldraht überzogen, blockieren die Fahrbahn. Ein verbeulter Bus ist kurz vor ihnen angehalten worden, und Hans Olofson sieht, daß die Insassen von einem jungen Soldaten mit einer Schnellfeuerwaffe aus dem Bus gescheucht werden. Die Schar der herausströmenden Afrikaner scheint kein Ende zu nehmen, und er fragt sich, wie viele Menschen in den Bus passen. Während die Businsassen sich in einer Reihe aufstellen müssen, klettert ein Soldat auf das Busdach und zerrt an dem unförmigen Berg aus Gepäckstücken und Matratzen. Eine angebundene Ziege strampelt sich frei, springt vom Busdach hinab und verschwindet meckernd im dichten Busch am Straßenrand. Eine alte Frau beginnt zu schreien und zu jammern, und ein ohrenbetäubender Lärm bricht los. Der Soldat auf dem Busdach brüllt etwas und hebt das Gewehr, die alte Frau will ihrer Ziege hinterherlaufen, wird aber von anderen Soldaten, die plötzlich aus einer Schilfhütte am Straßenrand auftauchen, daran gehindert.
»Gleich hinter einem Bus anzukommen ist ein Alptraum«, sagt Ruth Masterton. »Warum hast du ihn nicht überholt?«
»Ich habe ihn nicht gesehen, Madam«, antwortet Robert.
»Beim nächstenmal siehst du ihn gefälligst«, erwidert Ruth Masterton gereizt. »Sonst kannst du dich nach einer anderen Arbeit umsehen.«
»Ja, Madam«, antwortet Robert.
Die Soldaten scheinen nach der Durchsuchung des Busses die Lust verloren zu haben und winken den Jeep durch, ohne ihn zu kontrollieren. Vor Hans Olofsons Augen breitet sich eine Mondlandschaft aus. Hohe Schlackehalden wechseln sich mit tiefen Gruben und freigesprengten Schächten ab. Er sagt sich, daß er nun mitten in dem gewaltigen Copperbelt ist, der sich wie ein Keil bis in die Provinz Katanga im Kongo schiebt.
Er fragt sich, was er eigentlich getan hätte, wenn er die Mastertons nicht getroffen hätte. Wäre er in Kitwe aus dem Zug gestiegen? Oder hätte er sich im Abteil versteckt, um mit dem Zug gleich wieder nach Lusaka zurückzukehren?
Sie passieren weitere Straßensperren. Polizisten und betrunkene Soldaten vergleichen sein Gesicht mit dem Paßbild, und er bekommt große Angst.
Sie hassen die Weißen, denkt er. Ebenso inbrünstig, wie die Weißen offensichtlich auch die Schwarzen hassen.
Sie verlassen die Hauptstraße, und die Erde wird leuchtend rot. Er läßt den Blick über eine weite, eingezäunte Hügellandschaft schweifen.
Zwei Afrikaner öffnen ein Holzgatter und grüßen ungelenk. Vor einer zweistöckigen weißen Villa mit Säulengängen und blühenden Bougainvilleen hält der Jeep.
Hans Olofson steigt aus und denkt, daß ihn das weiße Palais an das Gerichtsgebäude im weit entfernten Städtchen erinnert.
»Heute sind Sie unser Gast«, sagt Werner Masterton. »Morgen werde ich Sie dann nach Kalulushi fahren.«
Ruth Masterton zeigt ihm sein Zimmer. Sie gehen durch kühle Korridore mit Steinfußböden,
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