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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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noch da ist? Mitten im Sommer, wenn Schnee und Kälte weit weg sind? Warum läßt er diese Säufer in die Küche und an Céléstine herumfummeln?
    Und warum ist meine Mutter fortgegangen? Er bleibt vor dem Gewerkschaftshaus stehen und betrachtet die Überreste des Filmplakats zur letzten Vorführung vor dem Sommer.
    »Lauf um dein Leben«, liest er. Ja genau, um sein Leben laufen. Und er läuft auf leisen Sohlen durch die laue Sommernacht.
    Mutshatsha, denkt er.
    Mutshatsha ist mein Losungswort.

H ANS OLOFSON verabschiedet sich von Moses, und der Wagen mit den beiden Leichen verschwindet in einer Staubwolke.
    »Sie können bei uns bleiben, solange Sie wollen«, sagt Ruth, die auf die Terrasse hinausgetreten ist. »Ich werde Sie nicht fragen, warum Sie schon wieder zurück sind. Ich sage nur, daß Sie bleiben können.«
    Als er sein altes Zimmer betritt, ist Louis bereits dabei, ihm ein Bad einzulassen.
    Morgen, denkt er, morgen werde ich mich noch einmal neu bewerten und entscheiden, wohin ich zurückkehre.
    Werner Masterton sei nach Lubumbashi gefahren, um Stiere zu kaufen, erklärt Ruth Masterton, als sie am Abend mit Whiskygläsern auf der Veranda sitzen.
    »Diese Gastfreundschaft«, sagt Hans Olofson.
    »Sie ist unabdingbar«, antwortet Ruth. »Ohne die anderen könnten wir nicht überleben. Einen Weißen im Stich zu lassen ist die einzige Todsünde, die wir kennen, aber niemand wird sie begehen. Es ist wichtig, daß die Schwarzen das begreifen.«
    »Vielleicht irre ich mich«, sagt Hans Olofson. »Aber ich habe das Gefühl, Zeuge eines Kriegszustands zu sein. Es wird zwar nicht offen gekämpft, aber dennoch herrscht Krieg.«
    »Es ist kein Krieg«, antwortet Ruth. »Aber eine Differenz, die um jeden Preis, und wenn nötig mit aller Macht, verteidigt werden muß. Im Grunde garantieren die Weißen, die hiergeblieben sind, die Macht der neuen schwarzen Herrscher, die ihre neugewonnene Macht benutzen, um ihr Leben zu gestalten wie wir. Der Gouverneur dieses Distrikts hat sich von Werner die Baupläne unseres Hauses geliehen. Jetzt baut er eine Kopie, nur daß sein Haus größer sein wird.
    »In der Missionsstation von Mutshatsha hat ein Afrikaner von einer Jagd gesprochen, die bald anbrechen werde, die Jagd auf die Weißen.«
    »Es gibt immer welche, die lauter schreien als andere«, entgegnet Ruth Masterton. »Aber die Schwarzen sind feige, ihre Methode ist der Meuchelmord, nicht der offene Kampf. Und Hunde, die bellen, beißen bekanntlich nicht. Es sind die Stillen im Lande, die man im Auge behalten muß.«
    »Sie sagen, die Schwarzen seien feige«, erwidert Hans Olofson und merkt, daß er allmählich betrunken wird. »Das klingt ein wenig, als wäre das ein Defekt, der mit ihrer Rasse zusammenhängt, aber das kann ich einfach nicht glauben.«
    »Vielleicht habe ich auch ein wenig übertrieben«, sagt Ruth Masterton. »Aber sehen Sie doch selbst, leben Sie in Afrika, kehren Sie anschließend in ihr Land zurück, und erzählen Sie dort, was Sie hier erlebt haben.«
    Beim Abendessen sind sie allein an dem großen Tisch. Stumme Diener tauschen die Teller aus. Ruth Masterton dirigiert sie mit Augenaufschlägen und energischen Handbewegungen. Einer der Diener kleckert Sauce auf das Tischtuch. Ruth Masterton befiehlt ihm zu gehen.
    »Was geschieht jetzt mit ihm?« fragt Hans Olofson.
    »Werner braucht Arbeiter in den Schweineställen«, antwortet Ruth Masterton.
    Eigentlich müßte ich aufstehen und gehen, denkt Hans Olofson. Aber ich tue nichts dergleichen und spreche mich frei, indem ich mir einrede, daß ich nicht dazugehöre und nur ein Gast bin, der zufällig vorbeischaut.
    Er will noch ein paar Tage bei den Mastertons bleiben. Den Rückflug kann er frühestens in einer Woche antreten.
    Aber ohne daß er es bemerkt, gruppieren sich Menschen um ihn herum und nehmen ihre Positionen in dem Drama ein, das ihn fast zwanzig Jahre in Afrika festhalten wird.
    Immer wieder wird er sich später fragen, was eigentlich geschehen ist, welche Kräfte ihn anlockten, in Abhängigkeiten verstrickten und es ihm schließlich unmöglich machten, einfach aufzustehen und zu gehen.
    Der Vorhang hebt sich, drei Tage bevor Werner Masterton ihn nach Lusaka fahren soll. Mittlerweile hat er beschlossen, sein Jurastudium wiederaufzunehmen, einen weiteren Versuch zu wagen.
    Eines Abends zeigt sich zum erstenmal in Hans Olofsons Leben ein Leopard. Ein Brahmankalb ist am Morgen tot aufgefunden worden. Ein alter Afrikaner, der als Traktorfahrer

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