Das Auge des Leoparden
tanzen mit Männern, die sichere Tänzer sind, ein eigenes Auto und das richtige Aussehen haben. Hans Olofson sieht die Luciakönigin des Vorjahrs in den Armen von Chauffeur Juhlin vorbeischweben, dem Fahrer eines der großen Schrapper des Straßenbauamts. Der Schweiß tropft, die Körper dampfen, und Hans Olofson ist wütend, weil er wie ein Idiot herumsteht.
Beim nächsten, denkt er. Beim nächsten Tanz gehe ich über das Wasser …
Aber als er sich endlich für die Tochter der Bezirkskrankenschwester entschieden, sie angepeilt und die Fußrichtung justiert hat, ist es schon zu spät. Wie rettende Engel erscheinen polternd die Brüder Holmström mit hochroten Gesichtern und erhitzt nach ihren heftigen Übungen auf der Tanzfläche. Auf der Herrentoilette erfrischen sie sich mit lauwarmem Schnaps und unanständigen Geschichten. Aus einer abgeschlossenen Toilettenkabine erklingt das Hohelied der Übelkeit.
Sie stürzen sich wieder ins Getümmel, und jetzt hat Hans Olofson es eilig. Jetzt heißt es alles oder nichts, jetzt wird er die »Bergwand« bezwingen, wenn er nicht vor lauter Selbstverachtung vergehen will. Auf schwankenden Beinen bahnt er sich einen Weg über die Tanzfläche, während Kringström eine unendlich langsame Version von »All of me« schmettert. Er bleibt vor einer der Lucia-Jungfern des Vorjahrs stehen. Sie begleitet ihn in das Gedränge und sie schieben sich über die überfüllte Tanzfläche …
Viele Jahre später, in seinem Haus am Ufer des Kafue, mit einer geladenen Pistole unter dem Kopfkissen, erinnert er sich an »All of me«, an die rußige Kaminwärme und die Lucia-Jungfer, mit der er sich damals über den Tanzboden schob. Als er in der afrikanischen Nacht schweißgebadet aus Angst vor etwas, das er geträumt hat oder in der Dunkelheit zu hören meint, aus dem Schlaf schreckt, kehrt er dorthin zurück und sieht alles genauso vor sich, wie es war.
Jetzt spielt Kringström zu einem neuen Tanz auf. »La Paloma« oder »Twilight Time«, er erinnert sich nicht genau. Er hat mit dem Mädchen getanzt, noch einen Schnaps aus der Flasche der Brüder Holmström abbekommen und will jetzt wieder tanzen. Aber als er auf unsicheren Beinen vor ihr steht, schüttelt sie nur den Kopf und schaut zur Seite. Als er die Hand ausstreckt, um nach ihrem Arm zu greifen, nimmt sie ihn weg. Sie verzieht das Gesicht und sagt etwas, aber das Schlagzeug hämmert, und als er sich vorbeugt, um besser zu verstehen, was sie sagt, verliert er das Gleichgewicht, und er liegt mit dem Gesicht zwischen Füßen und Schuhen. Als er sich aufrappeln will, spürt er, wie eine kräftige Hand in seinem Nacken ihn hochhebt. Es ist Vorsteher Gullberg, dessen wachsamem Blick der betrunkene Jüngling nicht entgangen ist, der dort auf der Erde kriecht, und Gullberg beschließt, den Jungen unverzüglich an die frische Luft zu setzen.
In der afrikanischen Nacht denkt er an diese Demütigung zurück, und sein Unbehagen ist noch groß wie damals, als es geschah.
An jenem Herbstabend entfernt er sich schwankend vom Gewerkschaftshaus und weiß, daß der einzige Mensch, an den er sich in seinem Unglück wenden kann, Janine ist. Sie wacht davon auf, daß er gegen ihre Tür hämmert. Unsanft wird sie aus einem Traum gerissen, in dem sie wieder ein Kind war. Aber als sie verschlafen die Tür öffnet, steht Hans Olofson mit weit aufgerissenen Augen vor ihr.
Langsam taut sie ihn auf, wie üblich geduldig wartend. Sie merkt, daß er betrunken und unglücklich ist, aber sie wartet und respektiert sein Schweigen. Als er in ihrer Küche sitzt und seine Niederlage immer deutlichere Konturen annimmt, bekommt sein Scheitern groteske Proportionen. Kein Mensch hat jemals eine größere Schmach erlitten als er, selbst Verrückte nicht, die versuchten, sich selber in Brand zu stecken oder die in einer Winternacht beschlossen, die Kirche mit einer Spitzhacke abzureißen. Zwischen Füßen liegend, war er wie eine Katze im Nacken gepackt worden. Und dann hatte man ihn hinausgetragen.
Sie breitet ein Laken und eine Decke in dem Zimmer aus, in dem das Grammophon steht, und sagt ihm, er solle sich hinlegen. Wortlos taumelt er hinein und läßt sich auf die Couch fallen. Sie schließt die Tür und legt sich dann in ihr Bett und kann nicht mehr einschlafen. Unruhig wälzt sie sich hin und her und wartet auf etwas, das nicht geschieht.
Als Hans Olofson am nächsten Morgen mit pochenden Schläfen und ausgedörrtem Mund aufwacht, will ihm ein Traum nicht mehr
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