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Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Titel: Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Vincents Chauffeur?“, äußerte ich meine nächste Vermutung. Das würde vielleicht seine seltsame Kleidung erklären. Dabei wurde mein Blick von einer Bewegung eingefangen … oh nein! Erschrocken fuhr ich zurück. „Du … du hast da …“
    „Ja?“, fragte er.
    Ich hatte angenommen, sein Jackett sei schmutzig. Aber der angebliche Fleck erhob sich flatternd in die Luft. Eine graue Motte. Nein, nicht bloß eine. Eine ganze Wolke von Faltern erhob sich von seinen Schultern und Ärmeln und schwebte um ihn herum. Ich sprang auf und machte einen Satz rückwärts.
    „Ja?“, fragte er noch einmal.
    „Da sind, äh, Motten?“, fragte ich, wobei sich meine Stimme in ein heiseres Quieken verwandelte.
    „Nachtfalter“, verbesserte er mich. „Gammaeulen, Hausmütterchen, Schwärmer … Magst du keine Falter?“ Sein Blick wurde zärtlich, während er ein besonders dunkles, pelziges Exemplar, das auf seiner Hand gelandet war, vor sein Gesicht hielt. „Warum nicht?“
    „Ich mag Schmetterlinge?“ Ich musste dringend an meiner Stimme arbeiten. Jeder Satz hörte sich an wie eine Frage. Eine äußerst verzweifelte Frage.
    „Das hier sind Schmetterlinge. Schmetterlinge der Nacht. Sie sind nicht so hell und bunt wie ihre beliebteren Verwandten, und da die meisten nachtaktiv sind, sind sie auch nicht so bekannt. Was für ein alberner Grund, jemanden nicht zu mögen.“ Meine Sympathiewerte für diesen Typen sanken in den Keller, als er mich allen Ernstes fragte: „Möchtest du mal einen in die Hand nehmen? Das hier“, er grinste, „ist Albert.“
    Albert war eine riesige, steingraue Motte mit sonderbaren Fühlern, die er mir einfach so auf den Finger setzte.
    Ich hatte nicht die Absicht, Albert zu streicheln, in den Arm zu nehmen oder sonstwie in Kontakt mit ihm zu treten. Ich mochte nichts, was krabbelte. Vor allem mochte ich nichts, was auf mir herumkrabbelte. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte mich kopfüber in den Pool gestürzt, doch nicht einmal das brachte ich fertig.
    „Nimm sie bitte weg“, flüsterte ich.
    Wieder dieser dunkle Blick aus den schwarzen Augen des Jungen. Ein Blick, bei dem ich innerlich betete, dass er mich nicht verachtete. Doch dann lächelte er und hielt seine Hand neben meine. Ohne Eile stieg Albert zu ihm hinüber und platzierte sich wieder als grauer, schimmelig aussehender Fleck auf seiner Jackett-Tasche.
    „Hast du deine Mo…, deine Nachtfalter abgerichtet?“, fragte ich, um ihm zu beweisen, dass ich durchaus über Insekten reden konnte, auch wenn ich sie nicht anfassen mochte. „Geht das denn?“
    „Sie lassen sich durchaus beeinflussen. Aber vielleicht beeinflussen sie auch bloß mich. Das lässt sich manchmal nicht so recht unterscheiden.“
    In meinem Inneren suchte ich nach einem Namen für diesen seltsamen Jungen, weil er mir seinen immer noch nicht verraten hatte, aber es wollte mir partout keiner einfallen. Meistens brauchte ich nur ein paar Sekunden und hatte jemandem einen Namen verpasst, aber heute fühlte ich in mir nur Leere und eine dumpfe Ratlosigkeit.
    „Wie heißt du?“, fragte ich. „Ach nein, jetzt sag nicht, das soll ich auch erraten.“ Denn er grinste wieder so, und da wusste ich, dass er rein gar nichts über sich preisgeben würde.
    Er schwieg. Ich versuchte nicht darüber nachzudenken, dass er ein paar hundert Motten auf seinem Anzug trug. Vielleicht hatte er ja Mottenkugeln in den Taschen, als Leckerli.
    „Na gut, dann rate ich eben. Flavio?“
    Er schüttelte lächelnd den Kopf.
    „Ich bin aber nah dran, oder? Etwas Italienisches, stimmt’s?“ Er sprach ohne Akzent. Seine Haut war eine Spur zu hell für einen Südländer, aber diese Haare und diese Augen … Ein Verwandter meines Lieblingstaxifahrers, möglicherweise? Es war ein Fehler, zu lange in diese Augen zu schauen, mir wurde schwindelig davon. „Marcello?“ Wieder falsch. „Antonio?“
    „Rico“, sagte er leise.
    Wie immer, wenn dieser Name fiel, lief mir ein Schauer über den Rücken. Ich versuchte, es mit nervösem Geplapper zu überspielen. Rico. Warum ausgerechnet Rico? Doch der Fehler lag nicht bei ihm, sondern bei mir. Ich war einfach zu empfindlich. Viele Jungen und Männer hießen so, und er konnte ja nichts dafür, dass vor vielen Jahren ein anderer Rico in der Geschichte unserer Familie eine so traurige Rolle gespielt hatte.
    „Ein Glück“, meinte ich und versuchte, meine Beklommenheit zu überspielen. „Tony heißt ja schon der Taxifahrer. Also dann, nett,

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