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Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Titel: Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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meinte er. „Wenn du willst, kannst du mit mir nach Hause fahren. Die Ärzte würden dich zwar gern noch hier behalten, aber ich glaube, auf einer Liege am Pool erholst du dich besser als in diesem überhitzten Zimmer. Draußen scheint wieder die Sonne.“
    Ich wollte nicht mit. Ich wollte mein Gesicht im Kissen vergraben und weinen, wie ich noch nie geweint hatte. Aber stattdessen streckte ich die Hand nach der großen Sporttasche aus, die er mitgebracht hatte. „Ist da was zum Umziehen drin?“
    Jede Bewegung tat noch weh. Ich war voller blauer Flecken und Abschürfungen. Mein Körper protestierte, als ich aufstand. Aber wenn ich hier lag und über Rico nachgrübelte, wurde ich noch verrückt.
    „Wartest du einen Moment draußen? Ich komme mit.“

    Letztendlich legte ich mich nicht auf die Liege am Pool, sondern ins Bett. Über mir hockte der Nachtfalter und betrachtete mich mit seinen runden schwarzen Augen. Kritisch? Liebevoll? Verächtlich? Ich wusste es nicht. Ich beobachtete ihn und versuchte, an nichts zu denken. Nicht an das Gefühl, wenn man fiel. Auch nicht an das Geräusch, mit dem morsches Holz nachgab.
    Irgendwann schlief ich ein. Als ich erwachte, stand Tatjana neben meinem Bett und funkelte mich wütend an.
    „Was ist da draußen passiert? Was hat Luca getan?“
    „Was?“ Ich blinzelte träge.
    „Du weißt genau, was ich meine. Was hast du auf dem Dach gemacht? War er da? Du wolltest ihn treffen, schon vergessen? Du wolltest die Sache klären.“
    „Nein“, sagte ich leise. „Luca hat damit nichts zu tun. Ich war … ich weiß auch nicht. Ich wollte wohl von da oben Ausschau nach ihm halten. So genau weiß ich das gar nicht mehr.“
    Wir beide auf dem Dach. Hinter uns ging die Sonne unter. Der Wind spielte in meinem Haar. Mein Herz war groß und offen, und ich wusste, was Glück ist. Alles passte zusammen …
    Rico wollte mich umbringen.
    Ich konnte es nicht aussprechen. Tränen traten mir in die Augen. Ich musste es sagen. Ich musste. Aber ich konnte nicht.
    „Du lügst. Er war da“, sagte Tatjana. „Ich hab das hier gefunden.“ Sie wedelte mit meinem Skizzenblock. Die Seiten waren zerrissen und beschädigt, aber sie hielt mir meine letzte Zeichnung vor die Nase: Rico im Profil. Hinter ihm ein Stück Dach und Baumkronen.
    „Was sagst du jetzt?“ Sie funkelte mich an.
    „Ich hab ihn aus dem Gedächtnis gezeichnet“, sagte ich.
    „Ach ja? Und warum wusste er dann, dass du da oben warst? Er hat am Tor Sturm geklingelt. Ich hab zuerst gar nicht verstanden, was er wollte. Er ist zum Wäldchen gerannt und ich bin einfach hinterher. Aber danach habe ich mir doch ein paar Gedanken gemacht. Also, woher wusste er es? Weil er vorher mit dir dort war! Hat er dich da hochgelockt? Wollte er dich irgendwo in einem alten Lagerhaus einsperren und Lösegeld verlangen? Oder war es von vornherein sein Plan, dich in letzter Sekunde zu retten und sich damit deinen Onkel zum Freund zu machen? Was wird hier gespielt, Liss?“
    Meine Dämme brachen. Ich weinte und weinte und weinte, und als ich endlich wieder sprechen konnte, erzählte ich ihr alles. Davon, wie wir zusammen aufs Dach geklettert waren, wie Rico mir die Aussicht gezeigt hatte. Und wie ich eingebrochen war, an derselben Stelle, an der er gerade noch gesessen hatte.
    „Er hat dir nicht geholfen?“, fragte sie entsetzt. „Aber … und warum dann nachher? Weil ich dabei war? Damit ich sehe, dass er ein anständiger Kerl ist? Das hätte aber doch wahnsinnig schiefgehen können! Erst bringt er dich in Gefahr, dann rettet er dich. Das ist ein gemeingefährlicher Irrer!“
    „Rico wollte mich umbringen“, flüsterte ich. „Du hattest von Anfang an recht. Aber sag es nicht Onkel Vincent. Ich will Luca nicht in Schwierigkeiten bringen.“
    „Ach was“, schnaubte sie. „Das ist doch jetzt egal. Du hättest tot sein können!“ Sie drückte mir Winky in den Arm. „Hier hast du was zum Kuscheln. Allemal besser als einem Psychopathen nachzutrauern. Ich geh jetzt zu Onkel Vincent!“
    Vielleicht konnte jemand anders Licht in das Ganze bringen. In mir sah es jedenfalls ganz schön dunkel aus.

    Obwohl ich keine Kraft zum Diskutieren hatte, telefonierte ich eine geschlagene halbe Stunde mit meiner Mutter, die haargenau wissen wollte, was mit mir passiert war. Mir wurde recht schnell klar, dass sie sich weniger Sorgen um meinen Gesundheitszustand machte als darum, dass mein Vater nichts davon erfuhr. Schließlich hatte sie darauf bestanden, dass

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