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Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Titel: Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Musik. Ich musste dreimal klopfen, bis er mich hörte.
    Die Musik verstummte und jemand rief etwas auf Italienisch. Ich vermutete, das sollte „Herein“ heißen, und öffnete die Tür.
    Lucas Zimmer war das reinste Chaos. Überall lag benutzte Wäsche herum, auf seinem Schreibtisch stapelten sich Kartons und aufgerissene Packungen von Chips und Keksen. CD-Hüllen pflasterten den Fußboden, ich wusste kaum, wo ich den Fuß hinsetzen sollte. Luca saß auf seinem Bett und angelte gerade nach seinen Kopfhörern. Anscheinend hatte er gedacht, er sollte die Musik leiser stellen.
    „Oh. Du!“ Er lief rot an und sprang hastig auf, um den Kram beiseite zu räumen, damit ich mich wenigstens auf die Bettkante setzen konnte.
    „Herr Riebeck hat mir gesagt, du wolltest mich nicht sehen.“
    „Ich war ein bisschen durcheinander“, erklärte ich. „Sonst wäre ich schon früher gekommen, um mich zu bedanken. Du hast ganz schön viel riskiert, meinetwegen.“
    Luca fuhr sich verlegen durch die Haare, stritt es jedoch nicht ab. „Vorher weiß man nicht, was man in so einem Fall tun würde“, sagte er schließlich. „Im Nachhinein bin ich eigentlich selbst überrascht. Es … es hat sich so ergeben.“ Sein Gesicht verdüsterte sich. „Ich will das Geld von deinem Onkel nicht. So etwas tut man nicht für Geld.“
    Dachte er auch an das Lagerhaus? Daran, wie wir in der Finsternis versucht hatten, die Treppe zu finden, während unter uns alles zerbrach und zersplitterte? Nach so einem Erlebnis war man sich nicht mehr fremd.
    „Danke“, sagte ich noch mal.
    „Gern geschehen.“
    Unsere Blicke kreuzten sich, dann schauten wir beide hastig wieder weg. Dabei stach mir ein flacher hölzerner Kasten ins Auge, der in Fächer eingeteilt war. Darin befanden sich tote Schmetterlinge, manche bräunlich und unscheinbar, andere auffällig gemustert. Erst als ich die bekannten Augen auf den Flügeln entdeckte, wusste ich, was ich vor mir hatte.
    „Deine Nachtfalter-Sammlung?“
    Luca musste einen Haufen zerknüllter T-Shirts beiseiteschieben, um an den Kasten heranzukommen und ihn aufs Bett zu legen.
    „Cool“, sagte ich.
    „Du findest sie nicht eklig?“, fragte er überrascht. „Die meisten Mädchen mögen nur Tagschmetterlinge.“
    „Ich bin aber nicht die meisten Mädchen“, sagte ich und versuchte nicht darüber nachzudenken, wie viele meiner Geschlechtsgenossinnen wohl schon in diesem Zimmer gewesen waren. Vielleicht hatte er sie mit den Worten „Ich zeig dir meine Sammlung“ hergelockt und sich dann gewundert, dass der Abend nicht so endete, wie er es sich gewünscht hatte.
    „Das sind meine schönsten, die Exemplare, die vollständig sind. Warte, ich hab noch mehr.“
    Eifrig kramte er kleine Schachteln hervor, Schuhkartons, Pappbecher mit Deckeln. Manche davon randvoll mit zarten Flügeln, in anderen lagen dicht an dicht halbierte Motten.
    „Seit wann sammelst du die?“, fragte ich. „Das sind bestimmt Tausende!“
    „Schon immer“, meinte er verlegen.
    „Fängst du sie mit einem Kescher oder wie machst du das?“
    „Oh nein, ich fange sie nicht“, beteuerte er hastig, seine Wangen wurden rot vor Aufregung. „Ich würde nie einen lebenden Falter töten. Ich hebe sie auf, wenn ich einen finde. Man muss nur die Augen offenhalten. Wenn sie tot sind, sind sie leider schon getrocknet, also muss man sie erst aufweichen und dann fixieren.“ Unter dem Bett kramte er mehrere Holzbrettchen hervor. „Das hier sind meine Spannbretter. Damit kann man die Flügel in die richtige Position bringen. Anschließend müssen sie eine Weile trocknen, bevor man sie in den Setzkasten tun kann.“
    Wie seltsam - der tote Rico wurde von lebenden Faltern begleitet, und Luca, der lebendige Junge, umgab sich mit toten Exemplaren.
    „Manchmal finde ich leider nur einzelne Flügel. Sie sind zu nichts nütze, aber ich nehme sie trotzdem immer mit. Von diesen hier zum Beispiel“, er öffnete eine Schachtel, in der sich Falterflügel mit braun-gelblich gestreiftem Giraffenmuster befanden, „habe ich hundertneunzig.“
    „Ich hab noch nie einen gefunden“, sagte ich schwach.
    „Das ist der Braune Bär. Sie sind toll, oder? Und hier …“ Er holte eine runde Dose aus einem Knäuel aus Sporthosen und Taschen heraus, „habe ich eine ungewöhnlich große Gammaeule, aber ihre Fühler sind beschädigt, deshalb ist sie nicht im Setzkasten.“
    Ich konnte nur nicken und zuhören. Dabei betrachtete ich verstohlen seine schlanken, gebräunten

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