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Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Titel: Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Behrs Hexengesicht aufschlug. Betrachtete nachdenklich die Zeichnungen von ihm und von meinem Vater. Ich wollte ihm den Block aus der Hand nehmen, bevor er zu Ricos Bild kam, doch da hatte er es schon entdeckt. Er betrachtete es lange.
    „Das ist Luca, dein Lebensretter“, sagte er, und ich widersprach ihm nicht. „Es ist mir gar nicht aufgefallen an dem Jungen … aber er erinnert mich an jemanden, den ich gekannt habe. Diese Augen … Du bist wirklich begabt, Alicia.“
    Kein Wort darüber, dass ich keine Zeichnerin werden konnte, weil ich mich um die Firma kümmern musste. Kein einziges Mal fragte er nach meinen Schulnoten. Dafür hatte ich mich also so angestrengt, für einen Onkel, der sich lieber meine Kritzeleien ansah als mein Zeugnis.
    Mein Magen knurrte vernehmlich.
    „Wollen wir nachschauen, was Romina für uns gezaubert hat?“
    Ich nickte.
    Mein ganzes Leben lang war ich wütend auf ihn gewesen, und dabei hatte ich ihm Unrecht getan. Diesen Fehler durfte ich nicht noch mal machen.

    Tatjana stieg ins Taxi. Tony-Fabrizio zwinkerte mir zu, während er ihre Taschen und den Koffer einlud.
    „Du solltest mitkommen“, sagte Tatjana ein letztes Mal. Ihr Blick war finster, als würde sie mich für die Komplizin eines Verbrechers halten. „Irgendwann kriegt er raus, was du weißt, und dann bist du dran.“
    „Das glaubst du doch selbst nicht“, gab ich zurück.
    Die Türen schlugen zu, die Reifen knirschten auf dem Kies. Ich sah zu, wie der Wagen davonfuhr, und ging ums Haus herum zum Gärtnerschuppen.
    „Sie ist weg“, sagte ich zu Thomas. „Wir machen die Beerdigung ohne sie.“
    „Gut“, sagte er. „Ich hatte schon Angst, sie wollte den Hund mitnehmen, zum Ausstopfen oder so. Was manchen Leuten halt so einfällt.“
    Es war deutlich, dass er sie für ziemlich durchgeknallt hielt. Alle hatten ihre Anschuldigungen gegen Onkel Vincent mitbekommen.
    Ich trug den Karton, in dem Winky lag, zu der kleinen Grube, die Thomas ausgehoben hatte.
    „So was passiert halt“, meinte er, als ich mir eine Träne aus den Augen wischte.
    „Warten Sie“, sagte ich, als er wieder zur Schaufel griff. „Ich hole noch ein paar Blumen.“
    Rico war an meiner Seite, während ich ein paar Rosen abschnitt. Schweigend stand er neben mir, als ich sie auf den Karton warf.
    „Asche zu Asche, Erde zu Erde, Amen“, sagte Thomas und räusperte sich. „Tschuldigung, bin halt kein Pfarrer.“
    Er schaufelte das kleine Grab zu.
    „Waren Sie damals schon hier?“, fragte ich. „Als das Verbrechen mit den Meyrinks passiert ist?“
    Er nickte. „War ‘ne schlimme Zeit. Das Schlimmste, was nur passieren kann. Die haben damals den ganzen Garten durchkämmt und ein Chaos hinterlassen, unglaublich. Mit Hunden haben sie gesucht. Die Polizei und sogar irgendwelche Spezialisten. Wenn die Kinder hier gewesen wären, sie hätten sie gefunden.“
    „Man hat die Jungen auf diesem Grundstück gesucht? Warum?“
    „Das tun sie immer“, meinte er, „nur um sicherzugehen.“
    Rico hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und starrte auf den winzigen Grabhügel. Seine Miene war undurchschaubar. Ich wartete, bis Thomas die Schaufel schulterte und abzog, dann erst sprach ich es aus.
    „Stimmt das? Du … bist gar nicht hier gestorben?“
    „Doch“, sagte er leise.
    „Aber wenn das Anwesen durchsucht wurde … sie hätten euch bestimmt gefunden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Polizei in so einem Fall schlampig gearbeitet hätte. Garantiert haben sie jeden Stein umgedreht.“
    Er hatte keine Antwort für mich.
    „Wo wart ihr?“, fragte ich leise. „Und wie konnte Luca entkommen? Hat man euch an verschiedene Orte gebracht?“
    „Ich führe dich hin. Aber nicht jetzt.“
    „Warum nicht?“ Ich griff nach seinen Händen, obwohl ich sie natürlich nicht festhalten konnte. Falls eine Kamera mich aufzeichnete, würde es ziemlich merkwürdig aussehen, aber das war mir egal.
    „Weil ich mir selbst nicht traue.“ Er musste sich nicht von mir losreißen, um ein paar Schritte zurückzutreten. „Weil es sich leicht stirbt, an solchen Orten. Weil … ach, verstehst du denn nicht, Alicia? Das ist der dunkelste Ort von allen! Dieser Ort ist wie ein Herz, und es ist schwarz. Es ist die dunkle Mitte, um die ich kreise. Ich will nicht, dass du das siehst.“
    „Ich werde stark sein“, versprach ich, von einem Zittern ergriffen, das ich nicht beherrschen konnte.
    „Wirklich? Willst du ins Finstere, dorthin, wo die Motten

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