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Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Titel: Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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herausgefahren und schraubte daran herum. Er nickte mir zu, ohne Fragen zu stellen, und ich trat in den Schuppen.
    Winky lag unter einer dunkelgrauen Plane, ich konnte ihre Umrisse erahnen, aber ich zog die Folie nicht weg. Eine Weile stand ich da und fühlte, wie mich das Unglück überschwemmte. Winky, Tatjana, Onkel Vincent …
    Nur ein Flüstern. „Alicia …“
    Ich fühlte Ricos Gegenwart wie einen kühlen Kuss im Nacken. „Mein Onkel schickt mich weg“, sagte ich, ohne mich umzudrehen.
    „Nein.“ Rico trat neben mich. „Nein, nein, das geht nicht! Du kannst mich nicht alleinlassen. Nicht ausgerechnet jetzt, wo ich dich doch gerade erst gefunden habe!“
    „Winky ist tot, und Tatjana glaubt, dass er daran schuld ist. Sie hat Vincent Riebeck ins Gesicht gesagt, dass er hier Leichen versteckt hat.“
    Leichen. Was für ein böses Wort. So abfällig. So technisch. So … unwiderruflich. Und trotzdem quälte ich dieses Wort über meine Lippen, spuckte es aus.
    „Du kannst nicht gehen“, sagte Rico verzweifelt.
    „Ich will ja auch nicht!“, rief ich. Ich senkte meine Stimme, damit Andi nicht gleich in den Geräteschuppen stürmte. „Ich will nicht, glaub mir. Aber wenn Onkel Vincent unschuldig ist, wer war es dann?“
    „Vielleicht ist sie von alleine ins Wasser gefallen und hat es nicht geschafft, wieder rauszuklettern“, sagte Rico leise. „Hunde sind dumm.“
    „Rico“, sagte ich, noch leiser als er, „hast du irgendetwas damit zu tun?“
    Sein helles Gesicht wurde noch blasser. „Nein!“
    „Gestern Nacht, in Tatjanas Zimmer …“
    „Ich habe die Falter nicht geschickt, das musst du mir glauben, Alicia. Sie wissen, was ich fühle, und reagieren darauf. Wir sind miteinander verbunden, auf eine Art, die ich nicht erklären kann, aber ich erteile ihnen keine Befehle.“
    Ich war noch nicht zufrieden. „Du wolltest, dass Tatjana verschwindet. Sie hat dich von Anfang an gestört, und Winky mochte dich auch nicht.“
    „Winky hat den Geruch des Todes gewittert“, sagte Rico. „Aber deshalb hätte ich ihr nie etwas angetan. Du weißt, dass ich das gar nicht könnte. Ich kann nichts anfassen.“
    „Ein Falter, der vor ihrer Nase fliegt, hinter dem sie herjagt …“
    „So könnte es gewesen sein, aber so war es nicht.“
    Er kniete sich hin und strich zärtlich über die dunkle Plane, als würde er Winky streicheln, die ihn diesmal nicht anknurrte.
    „Aber wenn du es nicht warst und Onkel Vincent nicht, wer dann? Sabine, weil sie einen Hundehaufen entdeckt hat? Thomas, weil Winky in einem Beet gebuddelt hat? Andi, weil er ein Loch im Rasen gefunden hat? Romina, die Hunde vielleicht unhygienisch findet, oder Inga, die ein paar Haare mehr wegsaugen musste? Das ergibt doch keinen Sinn.“ Am liebsten hätte ich meinen ganzen Frust hinausgeschrien. Es gab keine Kamera, die den Pool filmte. Jetzt wünschte ich mir, es wäre anders gewesen. Wenigstens für diesen einen Morgen. Dann hätte ich gewusst, ob Winkys Tod einfach bloß ein Unfall war.
    Onkel Vincent hatte so ehrlich entrüstet gewirkt, als würde man ihm etwas unvorstellbar Gemeines antun. Das war doch nicht gespielt gewesen! Würde ein Mörder sich das Foto der Toten auf den Schreibtisch stellen und jeden Tag anschauen? Das Lächeln der Kinder, die er umgebracht hatte, die Gesichter seiner Freunde, die infolgedessen ebenfalls ums Leben gekommen waren? Nun, ich wusste nicht viel über Mörder. Keine Ahnung, ob jemanden, der kein Gewissen hatte, ein altes Foto stören würde. Ein Irrer würde es vielleicht sogar genießen, mit seinen Opfern zu sprechen. Und wer, wenn nicht ein Irrer, würde zwei Kinder entführen und eins davon ermorden?
    „Ich weiß gar nichts mehr“, murmelte ich. „Nur, dass ich Antworten brauche. Das bedeutet, ich muss Onkel Vincent irgendwie dazu bringen, mich nicht wegzuschicken.“

Was hast du getan

    Tatjana schlief; die Beruhigungsmittel hatten endlich angeschlagen. Das Haus war still. Von unten hörte ich Sabine mit irgendwem telefonieren, anscheinend ging es um die Bahnfahrt.
    Ich hätte packen sollen, doch stattdessen kehrte ich in Onkel Vincents Arbeitszimmer zurück. Es war nicht abgeschlossen. Hatte ich mit ihm reden wollen? Erst als ich mitten im Raum stand, spürte ich die Erleichterung darüber, dass ich ihn hier nicht angetroffen hatte. Mir stand immer noch vor Augen, wie er seine Unschuld beteuert hatte. Das Foto auf seinem Schreibtisch lag noch, wo ich es hingelegt hatte, und ich brachte es nicht

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