Das Auge des Sehers (German Edition)
dich! Ich bin nicht stolz auf meinen Ausraster.»
«Sieh es von der positiven Seite. Er wird es sich hundert Mal überlegen, bevor er Susanne auflauert. Ziel erreicht.»
Ferrari sass stumm im Porsche. Ich hätte mich nicht provozieren lassen dürfen. Ich bin total ausgeflippt. Mist. Aber die Vorstellung, dass Susanne Im Obersteg jede Sekunde, jede Minute, jede Stunde ihres Lebens in Angst verbringt, diese unheimliche Macht über einen anderen Menschen, das macht mich einfach rasend. Nicht auszudenken, wenn sie zu ihrem Mann zurückgehen würde. Es wäre die Hölle auf Erden. Hat nicht jeder Mensch ein Recht auf Glück?
«Die Astrologen haben schon recht.»
«Womit?»
«Löwen brüllen nicht nur, sie verlieren auch ab und zu die Kontrolle über sich. Jetzt mach dir doch keinen Kopf. Du hast genau das Richtige getan. Für eine Wiederholung bin ich jederzeit zu haben.»
«Danke. Ich bin für heute bedient.»
«Susanne wird es dir danken. Das mit dem Muskelmännchen ist höchst interessant.»
«Mangold?»
«Ja, vermutlich. Meister Röhrich in trauter Eintracht mit Arian. Davon hat er aber nichts erzählt. Geht sogar so weit, dass er Im Obersteg einsargen will, wenn er seinem Freund Arian nochmals etwas antut.»
«Eigenartig. Kommt Im Obersteg als Mörder infrage?»
«Ich lasse den Stimmenvergleich machen. Ich bin jedoch sicher, dass er ausscheidet. Arian eine Klatsche versetzen, Frauen terrorisieren, ja, das hat er drauf. Aber Im Obersteg ist kein Mörder. Komm, ich fahr dich nach Hause. Man kann doch einen Gorilla nicht unkontrolliert durch Basel laufen lassen.»
14. Kapitel
Ein Tag glich dem anderen, es war trüb und nasskalt. Seit zwei Wochen hielt sich die Sonne unter einer Wolkendecke versteckt. Dementsprechend mürrisch liefen die Menschen durch Basel. Hinzu kam die nahende Adventszeit, die für viele belastend war. Der optimale Nährboden für eine Depression, stellte Ferrari lakonisch fest. Der Kommissär blätterte in einem Buch mit dem Titel «Hellsehen. Eine Einführung in die Parapsychologie». Das über fünfhundert Seiten starke Werk war in dreiundzwanzig Kapitel gegliedert. Die Verkäuferin wollte ihm mit aller Überzeugungskraft den gebundenen Band für achtundneunzig Franken andrehen. Achtundneunzig! Ein wirklich stolzer Preis, den er unter keinen Umständen bereit war zu bezahlen. Die Taschenbuchausgabe für achtunddreissig Franken tat es genauso gut und wirklich wenig war das ja auch nicht. Angesichts dieser Preise sollte man annehmen, dass sich die Verlage eine goldene Nase verdienen. Doch die Realität sah anders aus. Der Kommissär studierte das Inhaltsverzeichnis: Kipperkarten, Lenormandkarten, Reiki, Traumdeutung, Tarot, Kristallkugel, Leidingkarten. Ah, hier das Kapitel Hellsehen. «Ein Hellseher besitzt eine natürliche Gabe, Dinge jenseits von Zeit und Raum wahrzunehmen. Er kann auch ohne Hilfsmittel arbeiten, das heisst ohne Karten und dergleichen.» So oder ähnlich hatte es auch der Journalist in seinem Artikel «Das Auge des Sehers» über Arian Nostramo formuliert, erinnerte sich der Kommissär und las weiter: «Der Hellseher, also das Medium, erhält mit seiner seherischen Kraft Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt anderer Menschen. Er ist auch in der Lage, Kontakt zu Geistern aufzunehmen.» Ferrari hielt kurz inne. Das werde ich Nadine bestimmt nicht unter die Nase reiben. «Der Hellseher ist wie jeder andere auch von der Tagesform abhängig», setzte er seine Lektüre fort. «Es gibt Tage, an denen er nichts sieht.» Das würde gegen Arian sprechen, denn seine Sendung lief immer am Montagabend. Das Folgende werde ich als Argument herausstreichen: «Hellseher werden von der Kriminalpolizei zurate gezogen, wenn diese in einem spezifischen Fall nicht weiterkommt.» Und nun kam das Wichtigste. «Das Medium kann dir nur helfen, wenn du dich öffnest. Du musst bereit sein, das Medium an dich heran, in dich hinein, an deiner Gedankenwelt teilnehmen zu lassen, damit es dein Inneres erforschen kann.» Spannend. Ferrari blätterte zum Kapitel Wahrsagen. «Wahrsager sehen in die Zukunft.» So weit, so gut. Eine revolutionäre Aussage war das allerdings nicht. Wieder spielten die Karten eine Rolle, aber auch die Astrologie und das Pendeln. Interessant, sehr sogar. Hier kommt genau das, was Nadine mir als Wissenschaft verkaufen will – die Astrologie. «Die Konstellation der Sterne», wie war das noch gleich?, der Aszendent und der Deszendent, «spielen dabei eine wichtige
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