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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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schien ihn nicht zu hören. Er ging zur Bar, trank einen großen Schluck direkt aus der Flasche, drehte sich dann zu Shan um und wischte sich mit dem Ärmel die Wodkatropfen aus dem Bart. »Was war das?«
    »Ich glaube, der Dieb ist noch immer hier«, wiederholte Shan genauso leise und vorsichtig.
    Marco starrte ihn nachdenklich an. »Ein Ermittler, haben Sie gesagt. Ein Ermittler weiß, wer der Kriminelle ist.« Er ließ den Blick über die Männer im Raum schweifen. »Wissen Sie, wir sind hier nicht in Peking. Hier werden die Leute nicht so einfach für schuldig befunden.«
    »Es geht nur darum, die Fakten zu begreifen«, sagte Shan. »Wenn man die Fakten richtig deutet, kann vielleicht Gerechtigkeit walten.«
    »Gerechtigkeit?« fragte Marco ungläubig und zog die buschigen Augenbrauen hoch. »Haben Sie gerade Gerechtigkeit gesagt?«
    Shan sah Jakli hilfesuchend an, doch ihr nervöser Blick war allein auf Marco gerichtet.
    »Hier haben wir ja wirklich ein merkwürdiges Geschöpf vor uns, Osman«, sagte Marco mit schneidender Stimme. »Eine Seidenrobe, die sich Gedanken um die Gerechtigkeit macht.« Er nahm die fast leere Flasche und wandte sich an die anderen Männer. »Hohes Gericht! Wir haben hier jemanden zu unserer Unterhaltung. Der berühmte Ermittler Shan Tao Yun vom Hof in Tschambaluk erweist uns die Ehre einer Darbietung seiner Kunst der Beweisführung und Schlußfolgerung! Zweifellos ist er ein Nachfahre des großen Meisters Dee, Richter am Hof der Tang-Dynastie«, rief er und spielte damit auf einen legendären Untersuchungsbeamten an, dessen Heldentaten viele Jahrhunderte lang als Stoff für Volksmärchen gedient hatten.
    Marco flüsterte Osman etwas zu, der daraufhin einen großen schwarzen Holzknüppel hinter der Bar hervorholte und sich neben dem Ausgang zur Vordertür plazierte.
    »Aber ich kann doch nicht.«, protestierte Shan und überlegte, ob er nicht selbst einen Fluchtversuch unternehmen sollte.
    »In unseren Reihen hat sich schon wieder ein Verbrechen ereignet«, fuhr Marco fort. Sein Tonfall verriet allen, daß er keine Witze mehr machte. »Als wäre noch nicht genug, was unserer Lau zugestoßen ist. Damit ist es nun vorbei«, versprach er.
    Shan wurde klar, daß ihm gar keine andere Wahl blieb. Er ging zurück zur Theke und warf einen Blick auf den kleinen Buddha. »Ich hätte gern noch ein Glas Tee«, bat er zögernd.
    Osman lächelte, als freue er sich über Shans Unbehagen. Dann verließ er seinen Posten neben der Tür gerade lange genug, um den Tee einzuschenken.
    »Ich möchte nicht, daß jemand verletzt wird«, sagte Shan, nachdem er einen Schluck getrunken hatte. Das hier war schließlich Turkistan, wo man zumeist eher an Vergeltung als an Vergebung zu denken pflegte, hielt er sich vor Augen.
    Marco starrte ihn lediglich schweigend an.
    Shan seufzte. »Einige Minuten vor meiner Ankunft hat sich hier drinnen etwas ereignet. Es herrschte Unruhe. Jemand hörte etwas. Oder vielleicht kam ein Neuankömmling zur Tür herein.«
    »Da war nichts«, sagte Osman ungeduldig.
    »Sophie«, rief der kahlköpfige Mann mit der Schaffellweste. »Ich habe gesagt, ich würde Sophie kommen hören.«
    Marco sah zu Osman und hob die Augenbrauen.
    »Stimmt«, bestätigte Osman. »Aber sonst hat jemand etwas gehört. Wir haben nicht mit dir gerechnet.«
    Shan sah Marco an. Da war jemand in Begleitung des eluosi , der den unwahrscheinlichen Namen Sophie trug. »Die Aussicht, daß Sie kommen würden, hat Huf einen Schreck eingejagt«, sagte er.
    »Warum?« fragte Marco.
    Shan ließ die Vorfälle noch einmal Revue passieren. Huf hatte nicht bloß fliehen wollen. Er war verwundet worden und hatte dann zunächst versucht, Shan des Diebstahls zu bezichtigen, bis er Jakli sah und dieses Vorhaben aufgab. Shan hatte nicht verstanden, wieso der Tadschike enttäuscht wirkte. »Weil er vielleicht etwas eingesteckt hatte, das er jetzt so schnell wie möglich wieder loswerden oder verstecken mußte. Es blieb ihm nur sehr wenig Zeit.«
    Huf war aufgestanden und kam nun langsam näher. Sein Begleiter blieb dicht hinter ihm. »Ich bin mit Nikki geritten«, rief der kleine Tadschike. »Ich habe eure Tiere gepflegt. Dieser Chinese beleidigt mich. Er haßt uns alle.«
    Marco hob die Hand, so daß Huf verstummte. Dann wandte er sich wieder an Shan.
    »Machen Sie weiter, tai tai«, sagte er. Tai tai hieß Ehrwürdiger und war einst als Anrede für die höchsten Mandarine reserviert gewesen.
    »Wo trägt Huf seinen Beutel

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