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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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normalerweise?« fragte Shan. Huf wich zurück, bis er an die Wand stieß, und sah seinen Gefährten an, der sich ebenfalls langsam wieder in Richtung ihres Tisches zu bewegen schien.
    »Das Ding war ziemlich groß«, antwortete Osman. »Es hing an seinem Gürtel. Auf der linken Seite.«
    Shan nickte. »Vielleicht ist folgendes geschehen. Huf hatte die Kaiserin in seinem Beutel. Als Marco kam, mußte er sich ihrer entledigen, denn ausgerechnet Marco würde den Verlust ziemlich schnell bemerken. Allerdings wollte er die Figur nicht dauerhaft loswerden, sondern sie nur verstecken, um sie sich später zurückzuholen. Er hat den Beutel abgeschnitten und im Korridor versteckt. Durch eine Lücke in der Tür sah er mich kommen, einen Han. Er hoffte, die Schuld auf mich abwälzen zu können, verletzte sich mit dem eigenen Messer und stürzte sich dann auf mich, als ich die Tür öffnen wollte.«
    »Jemand könnte ihm mit einem Messer im Gang aufgelauert haben«, schlug Marco vor. »Der Sibo.«
    »Genau«, bestätigte Huf mit eifrigem Nicken. »Er stand plötzlich vor mir und ging auf mich los.« Sein Blick war unverwandt auf Marco gerichtet.
    Shan schüttelte den Kopf. »Auf dem Boden im Korridor liegt mindestens ein Zentimeter Sand. Ein Kampf hätte dort Spuren hinterlassen. Aber schauen Sie ruhig selbst nach, Sie werden keine finden. Und auf dem Weg nach draußen hat er die Öllampen ausgeblasen, damit alles nach einem Hinterhalt aussehen würde. Als ich eintrat, konnte ich das Öl noch riechen. Jemand hatte die Flammen erst kurz davor gelöscht.«
    »Das stimmt«, sagte Osman. »Als ich wegen der Schreie zur Tür gegangen bin, brannte kein Licht.«
    »Aber er würde sich doch nicht selbst mit dem Messer verletzen«, wandte Marco ein.
    »Es ist keine tiefe Wunde. Gerade tief genug, um zu bluten«, sagte Shan und sah, daß Marco nicht überzeugt war. »Der Schnitt war auf seinem rechten Oberarm. Das Messer eines Diebes wäre von unten und auf Hufs linker Seite gekommen, um den Riemen des Beutels zu durchtrennen, nicht oben und rechts. Huf hat das Messer mit der linken Hand genommen und sich selbst in den rechten Arm geschnitten. Ich habe die Männer beim Trinken beobachtet. Huf ist hier der einzige Linkshänder.«
    Osman nickte. »Das liegt an seiner schlechten Erziehung. Ein guter Moslem lernt schon als Kind, immer die rechte Hand zu benutzen.«
    »Also was?« fragte Marco.
    Shan streckte Zeige- und Mittelfinger der linken Hand aus, um eine Klinge nachzuahmen, und klopfte damit auf seinen rechten Oberarm. »So hat er sich die Verletzung zugefügt. Ein Dieb hätte von unten angegriffen, um ihm den Beutel abzuschneiden und womöglich im gleichen Zug den Bauch aufzuschlitze n. Aber er hätte ihn niemals am Oberarm verwundet.« Shan zuckte die Achseln und schaute in Richtung des Gangs. »Da sind doch bestimmt Regale oder Nischen für die Öllampen.«
    Osman nickte, nahm eine der Lampen und ging voran in den Korridor. Die einstigen Erbauer hatten insgesamt vier tiefe Aushöhlungen für Lichtquellen vorgesehen. In den ersten beiden Nischen klebten hinter den Lampen dichte Spinnweben, so daß man die Rückwand kaum erkennen konnte. In der dritten Nische klaffte in den Spinnweben ein frisches Loch. Marco griff hinein und holte einen Beutel daraus hervor. Er stieß ein leises wütendes Knurren aus, marschierte zurück in die Gaststube und rief Hufs Namen.
    Der Tadschike stand allein vor der Wand. Sein Freund hatte ihn verlassen. Marco hielt ihm für einen Moment das Fundstück vor die Nase, öffnete dann den Beutel und zog die Rubinkönigin heraus.
    Hufs Hände begannen zu zittern.
    Marco leerte den Beutel auf der Theke aus. Es kamen zwei gleich große, runde Gegenstände zum Vorschein, die beide in weißes Papier gewickelt waren. Marco öffnete eine der Verpackungen. Ein Apfel.
    »Du hast mich bestohlen«, knurrte Marco und streckte dem Tadschiken die Königin entgegen. »Du hast in Karatschuk einen Diebstahl begangen, während wir alle noch immer um unsere arme Tante trauern.«
    Huf schaute sich zu seinem Begleiter um, der ihn ausdruckslos musterte.
    »Gib's zu«, brüllte Marco. »Gib zu, daß du gestohlen hast.«
    »Ich ha... habe gestohlen«, stammelte der Tadschike.
    »Warum?«
    »Du hast mich letztes Jahr verprügelt. Ich war eine Stunde bewußtlos und hatte einen ganzen Monat lang Kopfschmerzen.«
    »Du hattest mein Kamel beleidigt«, erwiderte Marco.
    Niemand lachte.
    Shan nahm den anderen runden Gegenstand. Er zupfte an

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