Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
Vom Netzwerk:
weiterzugeben.
    Sie aßen bei Sonnenuntergang im Freien, neben einer kleinen Kohlenpfanne, die Deacon mit Hilfe eines Gasbrenners in einen Herd umfunktionierte. Seine Frau backte Fladen aus Buchweizenmehl und schmorte dann ein Pfannengericht aus diversen Konserven, die Deacon mit fröhlichem Grinsen aus seinem Rucksack zum Vorschein brachte. Bambussprossen, kleine Bohnen und sogar Ananas landeten alle in derselben Pfanne und wurden auf den Buchweizenfladen serviert.
    Shan war völlig ausgehungert.
    »Sie hatten also eine Audienz bei der Jadehure«, stellte Marco fest, während er neben Shan auf einem flachen Felsen Platz nahm. Es gab weder Teller noch Stühle oder Tische nichts, das sich nicht schnell ins Innere tragen lassen würde, falls ein Hubschrauber auftauchte, erkannte Shan. Zwischen den einzelnen Bissen erklärte er, was Xu in ihrem Büro gesagt und getan hatte.
    »Wieso sollte die Anklägerin Sie für jemanden aus Peking halten?« fragte Abigail Deacon.
    »Achte doch nur auf seine Stimme«, warf Marco ein. »Er spricht mit Pekinger Akzent.«
    »Das ist das eine«, pflichtete Shan ihm bei. »Hauptsächlich aber deswegen, weil sie mit jemandem aus Peking gerechnet hat. Aus dem Hauptquartier der Öffentlichen Sicherheit.«
    »Die Reservierungen der Einsatzkommandos im Lager Volksruhm«, murmelte Dr. Najan.
    Shan sah ihn an und überlegte, welche Folgerung sich aus diesen Worten ergab.
    »Ihre Freunde passen auf Sie auf«, sagte Shan. »Freunde mit Laptop-Computern.«
    Der Uigure nickte ernst. »Tapfere Freunde. Und sie heißen alle Mao.«
    »Xu hatte Beweismaterial in ihrem Büro«, sagte Shan. »Laus Sachen aus der Schule.«
    »Aber Lau ist ertrunken«, sagte Marco. »Zumindest glaubt Xu das.«
    »Die Anklägerin hat sich die einzelnen Indizien genau angesehen«, sagte Shan. »Die Meldung der Schule, daß Lau dort nicht wie vereinbart erschienen sei. Laus Pferd auf dem Weg am Fluß. Die Jacke. Und ihr Ausweis.«
    »Ihr Ausweis?« schaltete Jakli sich beunruhigt ein. »Wir haben keinen.«
    »Er ist an dem Tag bei der Öffentlichen Sicherheit abgegeben worden, an dem man auch die Jacke gefunden hat. Angeblich wurde er in der Nähe von Yutian am Flußufer gefunden.«
    »Wer hat den Ausweis eingereicht?«
    »Leutnant Sui.«
    »Der Mörder!« rief Jakli erschrocken. »Laus Mörder hat Sui die Papiere zugespielt, um die letzten Zweifel auszuräumen.«
    »Oder Sui war der Mörder«, sagte Marco wütend. »Ich hab ihn schon einmal auf einem Pferd gesehen. Er konnte gut reiten.«
    »Unmöglich«, wandte Jakli ein. »Falls er Karatschuk entdeckt hätte, wären inzwischen längst die Kriecher dort eingefallen.«
    »Nicht, wenn es sich um einen einzelnen Kriecher mit Sonderauftrag gehandelt hat, ob nun Sui oder ein anderer«, gab Shan zu bedenken. »Xu glaubt, es seien verdeckte Agenten im Bezirk Yutian unterwegs.«
    »Mit dem Auftrag, eine Lehrerin zu ermorden?« fragte Deacon.
    »Mit dem Auftrag, eine tibetische Nonne auszuschalten«, entgegnete Shan.
    »Eine Lehrerin, die früher Nonne war, ist hier im Grenzland nicht unbedingt etwas Außergewöhnliches«, sagte Jakli, klang dabei aber eher zögernd, als wolle sie sich selbst in dieser Ansicht bestärken. »Es gibt hier mehr Tibeter, als manch einer vermuten mag. Sie wechseln ihre Identität, um sicher zu sein.«
    »Einige können ihre Vergangenheit abstreifen«, sagte Shan. »Andere nicht. Und es ging nicht nur um Laus Vergangenheit, obwohl etwas von früher die Verbindung dargestellt haben mag. Aus irgendeinem Grund haben die Kriecher sich plötzlich für die zheli interessiert, als könnten sie dadurch etwas bewirken, was sie schon längst erreichen wollten. Und wonach auch die Einsatzkommandos suchen«, fügte er beinahe flüsternd hinzu.
    Einen Moment lang sprach niemand ein Wort. Allen war klar, auf wen die Einsatzkommandos es abgesehen hatten. Sie verfolgten, wie der leuchtendrote Abendhimmel sich erst rosa, dann golden und schließlich grau verfärbte. Die Amerikanerin stand auf und setzte sich vor ihrem Mann in den Sand. Deacon legte ihr die Hände auf die Schultern.
    »Drei tote Jungen«, sagte Marco ernst.
    »Micah ist da draußen«, sagte Abigail Deacon hörbar besorgt.
    »Es geht ihm gut, Warp«, versicherte ihr Mann. »Er ist hoch oben im Gebirge. Nicht mehr lange bis zum Vollmond, und wir werden wieder Zusammensein. Es gibt ein neues Konzert.«
    Warp schlang einen Arm um sein Bein. »Du und deine verdammten Grillen«, sagte sie. »Wenn wir wieder zu

Weitere Kostenlose Bücher