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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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und der Tibeter, der mit dem Lastwagen weggefahren war, gehörten zu den purbas , doch die anderen Leute kannten die Geheimnisse der Widerstandsbewegung.
    Das Kamel schüttelte den Kopf, so daß die Zügel herabfielen.
    »Gut für dich«, sagte der Mann und klopfte Jowa auf die Schulter. »Gut für uns.«
    Als er sich vorbeugte, um die Zügel wieder aufzuheben, rutschte ein Stück Papier aus seiner Tasche. Eine Landkarte.
    Der Wind riß die Karte hoch empor und ließ sie ein kurzes Stück vor Shan auf den von der Sonne beschienenen Fleck in der Mitte der freien Fläche fallen. Shan trat ins Licht und hob die Karte auf.
    Im selben Moment schienen die beiden Moslems zum erstenmal sein Gesicht zu bemerken. Shan streckte die Karte dem Mann mit der krummen Nase entgegen, der ihn lediglich wütend anstarrte. Akzu stieß einen leisen Fluch aus. Shan steckte die Karte unter einen der Geschirriemen des Kamels und ging zurück zu seiner Tasche. Er kam nur zwei Schritte weit, dann stellte sich ihm der Mann mit der krummen Nase in den Weg.
    »Wer ist das?« rief er, an Jowa gewandt, jedoch ohne Shan aus den Augen zu lassen. Sein ausgestreckter Zeigefinger war wie eine Waffe auf Shan gerichtet. Dann hob er die Hand, riß Shan die Mütze vom Kopf und warf sie zu Boden.
    »Ich heiße Shan.«
    Er nahm die Mütze und setzte sie wieder auf. Der Mann schlug sie abermals herunter.
    »Du bist ein Chinese«, stellte der Mann anklagend fest.
    »Gewissermaßen«, erwiderte Shan ruhig und hob die Mütze zum zweitenmal auf. Sobald er sie sich über die Ohren gezogen hatte, schlug der Mann sie ihm zum drittenmal vom Kopf.
    »Ihn sollten wir herbringen«, sagte Jowa, ohne sich allerdings von der Stelle zu rühren. »Wegen dieser Frau namens Lau.«
    »Niemand hat etwas von einem Chinesen gesagt.«
    »Und ich habe nicht mit einem Uiguren gerechnet«, gab Jowa zurück. »Es hieß, wir würden von Kasachen erwartet.«
    Der Mann deutete auf seinen älteren Begleiter. »Die Kasachen und Uiguren haben viele gemeinsame Interessen. Das meiste davon gilt auch für die purbas .«
    Akzu baute sich wachsam vor ihnen auf. Sein Blick huschte zwischen Shan und dem Uiguren hin und her. »Es gibt jetzt Wichtigeres zu tun«, sagte er dann und bedeutete seinem Kameraden, sich von Shan zu entfernen. Shan starrte die beiden Fremden an. Sie wollten Jowa, begriff er. Jowa, der wußte, wie man die Patrouillen der Öffentlichen Sicherheit überlistete.
    »Wir werden uns auch allein zurechtfinden«, sagte eine ruhige Stimme hinter ihm. Es war Lokesh. Er hob Shans Mütze auf und gab sie ihm.
    »Bestens«, sagte der Uigure und wies auf die Gebirgsausläufer unter ihnen. »Nach Nordwesten. Ruft einfach immer schön laut, dann wird Laus Geist euch schon finden.«
    Schweigend beobachteten sie, wie Shan und Lokesh ihre Taschen schulterten und zu Fuß in die angewiesene Richtung aufbrachen. Jowa murmelte etwas und folgte ihnen.
    Die junge Frau packte die Zügel ihres Pferdes und schloß im Laufschritt zu Shan auf. »Mein Name ist Jakli«, sagte sie und nahm Shans Tasche. »Ich bringe euch zu Tante Lau.«
    Shan lächelte dankbar. »Ich muß wissen, wie sie ums Leben gekommen ist.«
    »Sie ist im Fluß ertrunken, glaubt zumindest die Anklägerin.« Jakli warf dem älteren Mann einen verunsicherten Blick zu. »Aber das stimmt nicht«, fügte sie eilig hinzu. »Lau wurde durch einen Kopfschuß getötet, wie bei einer Hinrichtung. Falls die Anklägerin die Leiche zu Gesicht bekäme, würde sie die Sache doch nur vertuschen. Also haben wir Lau versteckt. An diesem Punkt solltet ihr ansetzen.«
    Bevor Shan etwas darauf erwidern konnte, galoppierte ein Pferd an ihnen vorbei. Darauf saß Akzu und verstellte ihnen den Weg. »Du hast schon genug Schwierigkeiten, Jakli«, sagte er. »Plaudere bloß keine Geheimnisse aus. Du kennst diesen Chinesen doch gar nicht.«
    »Wenn die alten Priester diesen Mann geschickt haben, dann brauchen wir ihn auch«, sagte Jakli. Ihr Tonfall ließ keinen Widerspruch zu.
    »Die alten Priester werden weich«, murmelte der Uigure.
    Jaklis Augen funkelten wütend. »Nachdem sie jahrzehntelang ihren Glauben sogar noch im Gefängnis bewahrt haben, werden sie weich? Nachdem sie mit ansehen mußten, wie ihre Klöster in Schutt und Asche gelegt wurden, werden sie weich? Nachdem man ihnen die Daumen abgeschnitten hat, damit sie keine Rosenkränze mehr beten können, werden sie weich?« Sie berührte Lokesh am Arm und sah ihm ins Gesicht. »Großvater«, sagte sie.

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