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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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den Transporter der Brigade nicht zu Sabotagezwecken stehlen, sondern um das Armutsprogramm auszutricksen.
    »Niemand wird kommen«, sagte Batu trotzig. Er griff unter sein Hemd. »Nicht solange wir das hier haben.« Er zog ein Stück Papier hervor und faltete es auseinander. »Eine Bannformel gegen Dämonen und Mörder.«
    Shan wurde plötzlich ganz aufgeregt. Der größte Teil des Zettels war mit mehr als zwanzig Zeilen einer anmutigen tibetischen Handschrift gefüllt, wie sie für religiöse Texte benutzt wurde. An den Rändern hatte man die acht heiligen Symbole aufgezeichnet. Genaugenommen handelte es sich nicht um einen Zauber, sondern um eine Art erweiterte Gebetsfahne. Wenn eine tugendhafte Seele ein solches Banner im Wind flattern ließ, wurde sie besonders gesegnet.
    »Wer hat euch das gegeben?« fragte Shan und hielt auf einmal über die Schulter des Jungen Ausschau. Besorgt suchte er die hinter der Hütte gelegene Wiese ab.
    »Die heiligen Männer«, sagte Batu. »Sie sind gestern gekommen, zur Wiese gegangen und haben mit den Gottheiten gesprochen. Dann haben sie diese magischen Worte für uns aufgeschrieben. Sie sagten, das würde uns beschützen, sofern wir Laus Andenken im Herzen bewahren.«
    Lokesh und Gendun waren hier gewesen. Er erinnerte sich an Lokeshs Worte beim Anblick der wunderschönen Wiese, die hinter der Hütte lag. Das war genau der Ort, an dem die Seele eines Jungen verweilen würde. Sie hatten nach Spuren der wandernden Seele des Yakde gesucht.
    Der Mann auf dem Baum stieß einen Pfiff aus, und kurz darauf begann der Mastiff wieder zu bellen. Jemand näherte sich dem Lager, ein hochgewachsener Mann mit einer roten Brigadejacke und einem kleinen Rucksack über der Schulter. Kaju Drogme, der tibetische Lehrer, kam. Er wirkte nervös und unsicher, als würde er sich jeden Moment umdrehen und auf dem Pfad zurücklaufen.
    Als er den Tibeter sah, knurrte Jowa fast so laut wie der Hund, rannte an Kajus Seite und riß ihm den Rucksack von der Schulter. Kaju hob die Hände und ließ sich die Tasche ohne Protest abnehmen. Dann sah er sich mit erleichtertem Lächeln auf dem Gelände um.
    »Einer der Lehrer hat erzählt, sie sei mit der zheli im Sommer oft hergekommen«, erklärte Kaju unbeholfen und offenbar an Jakli gewandt. »Ich dachte, die Kinder würden sich vielleicht daran erinnern.« Er zog einen Zettel hervor und musterte die Jungen. Die Liste der zheli . »Ich muß sie beruhigen und dafür sorgen, daß sie von unserem morgigen Treffen am Steinsee erfahren.«
    Jakli fragte Jowa, wonach er suchte. »Nach einem Funkgerät«, sagte der purba und bedachte Kaju mit einem mürrischen Blick. »Einer Waffe. Einem Peilsender. Er arbeitet für Ko.«
    Kaju ging einen Schritt auf Jakli zu. »Ich arbeite für die Brigade und für die Menschen des Bezirks Yutian«, sagte er mit schmerzvoller Miene. »Für alle Menschen.«
    Der Rucksack enthielt lediglich Proviant - eine Flasche Wasser, Obst und eine Tüte mit Schokoriegeln. Batu sah die Schokolade und stieß einen aufgeregten Ruf aus. Sofort versammelten die Jungen der zheli sich um den knienden Jowa und streckten die Hände aus. Kaju lächelte. »Machen Sie ruhig weiter«, bot er Jowa an. Aber der purba verzog das Gesicht und warf ihm den Rucksack zu.
    Nachdem er die Süßigkeiten verteilt hatte, nahm Kaju abermals die Liste zur Hand und sah dann Jakli an. »Ich kenne noch immer nicht alle ihre Namen«, sagte er verlegen. Sie starrte die Liste an und schüttelte den Kopf. Die Geste schien Kaju zu verletzen, und er entfernte sich von ihnen.
    »Sie haben den Wasserhüter aus dem Lager geholt.« Jakli schaute Shan an. »Die Instrukteure sagen, er habe einen zersetzenden Einfluß ausgeübt, aber da man sie deswegen kritisieren könnte, wollten sie ihn nicht melden. Also haben sie behauptet, er sei krank, und so wurde er in das Krankenhaus am Stadtrand gebracht.«
    »Hat jemand ihn gesehen?« fragte Shan besorgt.
    »Eine kasachische Krankenschwester, die uns kennt. Die Ärzte verabreichen ihm irgendwelche Mittel, damit er schläft. Er befindet sich auf einer gesicherten Station, die gelegentlich zur Unterbringung verletzter Gefangener genutzt wird. Es sind nicht ständig Wachen da, aber die Tür ist stets verschlossen.«
    Immerhin war er nicht mehr im Lager, dachte Shan. Was bedeutete, daß eine Chance auf Rettung bestand und somit die Aussicht, daß er endlich ein Gespräch mit dem Lama führen konnte. »Hat er von Khitai erfahren?«
    Jakli seufzte.

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