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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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nicht.«
    Diesmal schwiegen sie sehr lange. Jakli sah unverwandt Lau an, und ihr Kopf hob und senkte sich dabei ein wenig, als würde sie mit der Toten ein Zwiegespräch führen.
    Shan seufzte. »Vielleicht können wir uns ja auf einen gemeinsamen Ausgangspunkt einigen. Jemand hat vier Jungen ermordet und ist weiterhin hinter den Überlebenden her. Er wird nicht aufhören, bis er das gau hat. Stimmen Sie mir zu, daß der Mörder aufgehalten werden muß? Um wen auch immer es sich handeln mag?«
    Kaju sah Shan in die Augen und nickte ernst.
    »Und noch eines müssen Sie begreifen«, fügte Jakli hinzu. »Bei der Brigade sind die Jungen vorerst nicht in Sicherheit. Auch nicht bei den Kriechern. Nicht bevor die Angelegenheit ausgestanden ist.«
    »Ich werde.«, setzte Kaju mit verwirrtem Blick an. »Ich werde Direktor Ko nicht verraten, daß die Jungen hier sind. Er würde es vielleicht nicht verstehen und gegenüber der Öffentlichen Sicherheit versehentlich etwas ausplaudern. Auch Major Bao werde ich nichts erzählen. Sie können mir vertrauen. Die Amerikaner habe ich schließlich auch nicht erwähnt.«
    Shan sah ihn überrascht an. »Meinen Sie Micah?«
    »Micah und seine Eltern. Kurz nach Laus Verschwinden fand eine Unterrichtsstunde statt. Niemand wußte von ihrem Tod. Die meisten der zheli sind gekommen. Micah war auch dort. Sie haben ein paar amerikanische Spiele gespielt und sogar versucht, einige englische Worte auszusprechen. Einer von ihnen hat erzählt, daß Micahs Eltern manchmal den Unterricht besuchen und bei der Ausbildung helfen.«
    »Wieso haben Sie diese Tatsache allen anderen verschwiegen?« fragte Shan. Er überschlug den Zeitablauf. Kaju wußte seit fast drei Wochen von den Amerikanern. Wann hatte Bao mit seiner Suche begonnen?
    Kaju sah ihn an. »Ich weiß es nicht«, sagte er, und Shan spürte, daß er offenbar mit der Entscheidung gerungen hatte. »Es geht mich nichts an. Micah ist ein Teil der Klasse, und meine Aufgabe lautet, die Klasse zu unterrichten. Er ist.« Kaju zuckte mit den Achseln. »Er ist wie die anderen, bloß ein Junge, der sich bemüht, die Welt zu begreifen.« Der Tibeter wandte sich an Jakli. »Aber es sind Treffen am Steinsee angesetzt. Noch sind nicht alle Jungen wiederaufgetaucht. Ich komme auf jeden Fall hin.« Er stand auf und wollte gehen, aber nach drei Schritten blieb er stehen und schaute die Wand an, die Handabdrücke im Eis.
    »Um unsere Hochachtung zu bezeigen«, erklärte Jakli. »Die Eiswand wird die Höhle versiegeln. Und dann werden diejenigen, die Lau ihre Anerkennung gezollt haben, bei ihr sein.«
    Kaju zögerte und sah Jakli flehentlich an.
    »Für manche eine Reverenz zu Lebzeiten, für andere eine Reverenz nach Laus Tod«, fügte Shan hinzu.
    Kaju warf ihm einen dankbaren Blick zu und preßte dann seine Hand in das Eis.
    »Damit geben Sie ein feierliches Versprechen«, sagte Jakli hinter ihnen mit schaurig geisterhafter Stimme. »Ein Gelübde zur Rettung der zheli .«
    »Dann soll es so sein.« Kaju drückte seine Hand noch fester gegen das Eis. Dann wich er zurück und starrte die Vertiefung an, die er hinterlassen hatte. Schließlich drehte er sich zu Shan. »Da war etwas, das ich der Öffentlichen Sicherheit gegeben habe. Ich meine, sie haben es sich einfach genommen. Man hat mir Laus altes Zimmer im Wohnheim für alleinstehende Lehrkräfte zugewiesen. Ich war gerade dabei, ihre Habseligkeiten zusammenzusuchen, da kreuzte die Öffentliche Sicherheit auf. Ich zog etwas unter der Matratze hervor, und sie haben es sich sofort geschnappt.«
    Shan seufzte. »Ein Gedicht.«
    Kaju nickte. »Bloß ein Gedicht über einen Lehrer, der Blumen sammelt. Ich wollte nicht. Ich hätte es ihnen nicht gegeben, aber sie waren da und haben es sich einfach genommen. Man darf doch niemanden nur wegen eines Gedichts verdächtigen.«
    Bloß ein Gedicht, dachte Shan. Nach Baos Ansicht jedoch ein eindeutiger Beweis für Verrat. Er und Kaju sahen sich an. Deshalb hatte der Tibeter nichts von den Amerikanern erzählt -er fühlte sich schuldig, Laus Vertrauen verletzt zu haben. Womöglich hatte ihn auch die Schönheit des Kindergedichts tief berührt.
    Jakli steuerte auf den Ausgang zu, und auch Kaju schickte sich an zu gehen, verharrte jedoch gleich wieder. »Ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht, aber vielleicht.« Er rang die Hände. »Laus Lehrplan und alle Einzelheiten, die ich über die zheli weiß. Ich wollte niemandem schaden. Man hat mir gesagt, Laus größter Fehler

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