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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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auf Knien, erforschte er seine Zelle und entdeckte in der Mitte der nächstgelegenen Wand einen einzelnen Wasserhahn, unter dem ein Metalleimer stand. Gegenüber, in nur anderthalb Metern Entfernung, war eine Tür eingelassen, neben der ein modrig riechender Haufen Handtücher lag. Shan drückte sich eines davon vor die Nase, denn er empfand diesen Geruch als längst nicht so schlimm wie den beinahe überwältigenden Kotgestank.
    Dies war keine Zelle der Kriecher. Shan war nachlässig gewesen, er hatte sich zu sehr auf die bevorstehenden Probleme konzentriert und nicht mehr an seine Rückendeckung gedacht. Es konnte sich um gewisse Kriecher in inoffiziellem Auftrag gehandelt haben. Vielleicht war es auch Bao gewesen oder sogar Xu, die angesichts der seltsamen Beziehung zwischen ihnen ihre Meinung geändert hatte. Shan saß in der Dunkelheit und verspürte nicht Angst, sondern Wut, weil er so weit gekommen war und seinen wirklichen Gegner immer noch nicht kannte.
    Doch als die Tür sich öffnete, standen dort die Maos. Fat Mao und die beiden anderen aus dem Keller sowie ein Stück dahinter Jowa, mitten in einer Küche. Die Küche! Shan befand sich in dem Restaurant. Sie hatten ihn in die Toilette des Restaurants gesperrt.
    Jemand schaltete eine Glühbirne ein, und Shan hob die Hände vor das Gesicht, um das Licht abzuschirmen, weil der Schmerz in seinem Kopf wieder aufflackerte. Etwas Hartes schlug seine Hände beiseite, und er fiel zurück in die Toilette. Er blickte auf und sah den großen Mao, Mao den Ochsen, mit einem kurzen dicken Brett über sich stehen.
    »Du bist zur Anklägerin gegangen«, knurrte Mao der Ochse. »Du hast dich wie ein Dieb davongeschlichen, zurück zu deiner chinesischen Freundin.« Er stieß mit dem Brett leicht gegen Shans Arm, als wolle er sicherstellen, daß Shan die Waffe bemerkt hatte.
    Shan biß sich auf die Lippe, als der Schmerz erneut durch seinen Schädel raste. Bereits nach dem Sandsturm hatte es geheißen, er habe unter Umständen eine Gehirnerschütterung davongetragen. Im Gulag hatte er Männer sterben gesehen, nachdem sie mehrfach geschlagen worden waren. In ihren Köpfen staute sich etwas auf und explodierte irgendwann. Dann wanden sie sich auf dem Boden, stießen tierähnliche Laute aus, hielten sich die Köpfe und starben schließlich.
    Mao der Ochse holte mit dem Brett aus, schlug aber nicht zu. Er wechselte es von einer Hand in die andere, holte wieder aus und kam näher. Als er zum drittenmal einen Schlag antäuschte, bekam Shan das Brett zu fassen, riß es ihm aus der Hand, bevor er reagieren konnte, und stopfte es in das Toilettenloch. »Mein Kopf tut schon weh genug«, sagte er und hörte den wütenden Klang seiner Stimme.
    Sein Sichtfeld verschwamm an den Rändern. Er sah, daß Fat Mao eine Hand auf Maos des Ochsen Arm legte. Er sah, daß die stämmige Frau vortrat. Sie trug eine Pfanne mit dreckigem Spülwasser vor sich her, quetschte sich an Mao dem Ochsen vorbei und schüttete es Shan ins Gesicht.
    »Ihr Chinesen habt meine beiden Söhne ermordet«, sagte sie haßerfüllt.
    Shan leckte das Wasser auf, das über seine Lippen rann.
    Seine Kehle war so ausgetrocknet, daß er nicht schlucken konnte. Mao der Ochse durchsuchte unterdessen in der Küche diverse Schubladen. Die Maos, sagte eine Stimme in Shans Hinterkopf, haben sich ihre Verhörtechniken bei den Besten abschauen können. Bei den Kriechern.
    »Entweder du arbeitest mit Xu zusammen«, sagte Mao der Ochse und kehrte mit einem schweren Holzinstrument zurück, das aussah, als würde man damit normalerweise Gemüse stampfen, »oder du bist unglaublich dumm. In beiden Fällen stellst du eine Gefahr für uns dar.«
    »Ich bin aus Tibet hergekommen«, hörte Shan einen Teil von sich erwidern. Seine Augen schienen wie von selbst in seinem Schädel umherzurollen. Er wollte Jowa ansehen, aber der Tibeter wich seinem Blick aus. »Die Lamas.«
    Mao der Ochse ignorierte ihn. »Xu hat Sui ermordet«, zischte er. »Vielleicht auch die anderen. Es geht ihr nur um Macht. Mehr Verbrechen, mehr Verhaftungen. Mehr Verhaftungen, mehr Ruhm. Mehr Ruhm, mehr Macht.«
    »Ich dachte, man würde Sie Mao den Ochsen nennen, weil Sie so groß sind«, sagte ein anderer Teil von Shan. »Aber wie ich sehe, ist der eigentliche Grund, daß Sie den Verstand eines Ochsen besitzen.«
    Der große Kasache stieß einen Fluch aus und riß seine neue Waffe hoch. Shan hob die Arme wie in Zeitlupe über den Kopf. Dann kam von der Seite eine andere

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