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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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ihnen nicht einmal mehr um ihren Sozialismus. Nur noch um Geld.«
    »Wir können sie zur Rechenschaft ziehen«, brummte Mao der Ochse.
    Jakli schien das Funkeln im Blick des großen Kasachen bereits zu kennen und hob die Hand, als wolle sie ihn zurückhalten. »Ihr unternehmt gar nichts. Nicht, bis alle Jungen in Sicherheit sind.«
    »Aber du hast ihn doch gehört«, sagte Mao der Ochse mit einem verschwörerischen Nicken in Shans Richtung. Offenbar hatte er beschlossen, die Episode in der Toilette zu vergessen. »Der General kommt in ein paar Tagen.«
    Shan sah Jakli an. Der General würde herkommen. Die Jungen wurden verfolgt. Aber die Clans versammelten sich. Ein letztes Mal versammelten sie sich. Und für Jakli würde ein neuer Lebensabschnitt beginnen.
    Die stämmige Frau kehrte mit Shans noch immer feuchter Kleidung zurück und fing an, für alle Anwesenden ein Mahl zuzubereiten. Nachdem Shan sich umgezogen hatte, inspizierte sie ihn mit mütterlichem Blick, entdeckte etwas Schmutz auf seinem Schuh und rieb den Fleck mit ihrem Putzlappen weg. Es war ihre Art, sich zu entschuldigen, begriff er, und so bedankte er sich mit stummem Nicken für die Gastfreundschaft. Als sie das Essen auftrug, servierte die Frau ihm zuerst.
    Nach dem Mahl stand Fat Mao auf und holte einige gefaltete Zettel aus einer Jacke, die an der Wand hing. »Dieser Fernfahrer, der Sui gefunden hat«, sagte er und schob die Blätter quer über den Tisch zu Shan. »Uns ist klargeworden, daß Suis Leiche gar kein Geld bei sich hatte. Wir kannten das Nummernschild des Mannes, also haben wir ihn in Kashi aufgespürt. Nach ein paar Stunden Überzeugungsarbeit hat er eingeräumt, das Geld gestohlen und dann angeblich in einer Bar in Hotan vollständig ausgegeben zu haben. Für ungefähr ein Dutzend Drinks und eine besonders aufmerksame mal chun nu.« In direkter Übersetzung bedeutete der Begriff Mädchen, das den Frühling verkauft. Eine Prostituierte. »Zusammen mit dem Geld hat er diese Papiere gestohlen. Er war froh, sie wieder loszuwerden, denn nachdem er sie letztlich gelesen hatte, jagten sie ihm Angst ein.«
    Es waren nur zwei Blätter. Das erste enthielt eine Liste der zheli , die offizielle Liste aus dem Schulcomputer. Khitais Name war unterstrichen und mit einer handschriftlichen Notiz versehen: Lager des Roten Steins. Oben auf der Seite stand Laus Name samt einiger persönlicher Daten. Die Raumnummer ihres Büros in der Schule. Eine Beschreibung ihres Pferdes. Braunes Pferd, weißes Gesicht. Und dann stand dort ein Name, den Shan nicht kannte. Betrieb Polarstern. Er wies darauf.
    »Eine Werkstatt«, erklärte Fat Mao. »Ein Hufschmied und Stall. Lau hatte ihr Pferd dort untergestellt. Mao der Ochse hat es heute überprüft. Am Nachmittag vor ihrem Tod hat sie ihr Pferd abgeholt. Zehn Minuten nachdem sie weggeritten war, tauchte ein Mann in Zivilkleidung dort auf, dessen Beschreibung auf Sui paßt, und mietete ein Pferd. Am nächsten Morgen hat er es zurückgebracht, völlig schweißgebadet und erschöpft. Der Eigentümer hat ihn wütend angeschrien, aber Sui hat nur gelächelt und ihm etwas zugeworfen, das den Mann verstummen ließ. Etwas aus Gold.«
    »Ein Panda?« fragte Shan.
    Fat Mao schüttelte den Kopf. »Gold in Form eines fünf Zentimeter hohen Buddha.«
    Jakli stöhnte auf und sah Shan an. Sie hatten diese kleinen, aus massivem Gold gefertigten Buddhas zuvor schon gesehen, und zwar in dem Tempelraum in Karatschuk, dem Raum, in dem Lau gestorben war.
    Das zweite Blatt enthielt handschriftliche Notizen. In einer Ecke standen Ziffernfolgen, anscheinend Geldbeträge, die mehrfach unterstrichen waren. Veranschlagte Kopfgelder, jeweils fünftausend. Der Preis für ein Waisenkind. Und in der Mitte eine skizzierte Landkarte, die mit einem Datum versehen war. Jakli, die über Shans Schulter blickte, keuchte auf. »Das ist morgen. Und die Karte zeigt den Steinsee. Sui wollte sich die Jungen beim Steinsee holen.«
    »Aber er hat den Wettbewerb gegen einen besseren Mörder verloren«, sagte Fat Mao grimmig. »Und nun wird an Suis Stelle dieser Mörder dort auftauchen.«

Kapitel 18
    Der Steinsee war der ehemalige Standort einer Ölförderstelle, ein Ort am Rand der Wüste, wo sich in den vorgelagerten Ausläufern des Gebirges zahlreiche Fossilien finden ließen. Während der Fahrt erklärte Jakli, daß Lau die zheli häufig im Herbst dorthin mitgenommen hatte, um zwischen den extremen Sommer- und Wintertemperaturen Fossilien zu sammeln und

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