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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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auf Genduns Robe. Der Saum war aufgetrennt und ein großes Stück Stoff abgerissen worden. Auch der Lama selbst wirkte, als habe man ihm etwas entrissen. Seine müden Augen richteten sich kurz auf Shan und starrten dann wieder ins Leere.
    »Man hat angefangen, die Wüste mit Hubschraubern abzusuchen«, berichtete Lokesh mit erschöpfter Stimme. »Marco sagte, die wandernden Seelen würden vor dem Geräusch der Helikopter fliehen, weil es so klingt wie Dämonen.« Der alte Tibeter seufzte. »Und sein Kamel hat uns immer wieder mit der Nase angestoßen. Gendun sagte, dieser Russe und sein Tier würden sich gut mit Geistern auskennen, also haben wir uns einverstanden erklärt, sie zu begleiten.« Er ließ den Blick über die Berge und in Richtung der Wüste schweifen. »Eine Zeitlang hat es sich so angefühlt, als seien wir dem Yakde Lama nahe. Wir werden bald dorthin zurückkehren. Da draußen sind so viele Verlorene unterwegs«, schloß er betrübt und ließ sich von Shan in eines der Zelte führen, wo Jowa bereits einen Schlafplatz für Gendun herrichtete.
    Shan blieb bei den beiden alten Männern sitzen, bis sie eingeschlafen waren. Als er aufblickte, sah er Marco im Eingang stehen und die Tibeter stumm betrachten. Er schien etwas sagen zu wollen, aber nicht die richtigen Worte zu finden, und so kniete der eluosi nieder und zog Gendun die Decke über die Schultern. »Als ich die beiden zum erstenmal zu Gesicht bekam, habe ich sie bloß für zwei harmlose alte Spinner gehalten«, gestand Marco. »Jetzt jedoch.« Er schüttelte den Kopf und sah Shan in die Augen. »Nachdem wir sie gefunden hatten, hat Sophie sie immer wieder umkreist, als würde sie sich fragen, um was für seltsame Geschöpfe es sich wohl handeln mochte. Zuerst wollten sie nicht mitkommen, und ich wußte nicht, was ich machen sollte. Ich tat so, als würde ich weggehen, aber Sophie setzte sich neben die beiden und rührte sich nicht vom Fleck. Sie hätte mich gehen lassen und wäre bei ihnen geblieben.« Marco kratzte sich am Kopf und zog fragend die buschigen Augenbrauen hoch, als sei ihm das Verhalten seines Kamels immer noch rätselhaft. »Dann hörte sie in weiter Ferne einen Hubschrauber und fing an, die beiden in meine Richtung zu schieben.« Er musterte die zwei alten Männer. »Es ist wichtig, daß sie hier sind, nicht wahr?« fragte er schüchtern. »Ich meine nicht hier am Ort, sondern... ach, ich weiß auch nicht.«
    »Es ist wichtig, daß es sie gibt«, schlug Shan vor. Bei diesen Worten bemerkte er eine Bewegung im hinteren Teil der Jurte. Dort saß die wild blickende Frau, die mit Steinen nach ihm geworfen hatte. Sie wiegte sich vor und zurück, hielt dabei eine zusammengerollte Decke im Arm und gab durch nichts zu erkennen, ob sie die anderen überhaupt registriert hatte.
    Als Marco aufstand, sah Shan, daß Jowa vor dem Zelt wartete. Was hatte der purba vor vielen Nächten zu ihm gesagt? Falls die Lamas nicht überlebten, welchen Sinn hatte dann alles noch? Der Gedanke rief eine schmerzliche Erinnerung wach. Es gab noch immer einen weiteren Lama dort draußen, der sich nun bei den Kriechern im Lager Volksruhm befand.
    Es war ein Festtag, ein Tag der Freude. Die anderen Clans kamen in Scharen zum Lager des Roten Steins, um die Gaben an die Brautfamilie zu bewundern und ihre eigenen Geschenke zu überreichen. Sie brachten Toasts auf Nikki aus, den Witzbold, der sich stets verspätete, um einen um so wirkungsvolleren Auftritt zu haben. Man veranstaltete Pferderennen mit zwei, vier oder sogar zwanzig Teilnehmern, und das jubelnde Publikum ließ Schläuche mit kumys herumgehen.
    Nach den Rennen zog Batu den Amerikaner hinaus auf die Freifläche. Ein anderer der zheli warf Deacon einen Ball zu, einen Baseball. Marco kam mit einem Schläger zum Vorschein, den er aus Nikkis Zimmer mitgebracht hatte, und die Kinder des Lagers fingen an, dieses amerikanische Spiel zu spielen. Jakli tauchte auf, verneigte sich zum Gruß theatralisch vor Shan und gesellte sich zu den anderen Spielern, wobei sie ständig damit prahlte, daß Nikki die Bälle bis ins Gebirge schlagen würde, sobald er erst einmal eingetroffen war. Deacon und Marco hatten sich selbst zu den Trainern der beiden Mannschaften ernannt, und so war die Luft schon bald von fröhlichem Gelächter und lauten Rufen erfüllt, während Shan sich auf seinem sonnigen Sitzplatz zurücklehnte und schläfrig das Spiel verfolgte.
    Viele der Anwesenden versammelten sich als Zuschauer am Feldrand, bis

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