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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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sich nicht öffentlich zu seiner Herkunft bekennt. Wer ist sonst noch an diesen Ort gekommen?« In der Kammer waren nicht nur Gespräche über den Buddhismus geführt worden. Man hatte dort die tibetische Sprache und andere tibetische Traditionen gelehrt, wie sie in den zwei Generationen seit der chinesischen Invasion immer mehr verlorengegangen waren.
    Jakli starrte lange ins Feuer. »Manchmal zogen Hirten vorbei. Außerdem gibt es einen verrückten Sibo, der auf das Wasser aufpaßt. Ungefähr Mitte Fünfzig. Es heißt, er sei übergeschnappt.« Die Sibo waren ein mandschurisches Volk, das vor fast dreihundert Jahren aus seiner Heimat vertrieben und nach Westen geschickt worden war, um dort im Auftrag des Kaisers gegen die Moslems zu kämpfen.
    »Das Wasser?«
    »Der Landwirtschaftsrat stellt etwas Geld zur Verfügung, damit die wichtigsten Wasserläufe frei gehalten und nicht verunreinigt werden. Die meisten unserer Bäche führen bloß im Frühling Wasser. Nur wenige fließen das ganze Jahr. Also heuert man Leute an, die auf das Wasser aufpassen, tote Tiere herausfischen oder umgestürzte Bäume beseitigen.«
    »Wer noch?«
    »Ihre Fahrer. Auch die Leute von der Schule in Yutian dürften sie hin und wieder besucht haben. Vielleicht auch andere Mitglieder des Landwirtschaftsrats.«
    »Lau hatte einen Fahrer?«
    »Manchmal. Sie selbst hat nie Autofahren gelernt. Wenn sie für den Landwirtschaftsrat unterwegs war, hat sie die Fuhrparks genutzt.«
    »Nach dem Ende ihrer Amtszeit aber nicht mehr, oder?«
    »Gelegentlich hat ihr einer der Fahrer auch dann noch geholfen. Ein Kasache.«
    »Könnte er darüber Bescheid wissen, wo sie am Tag ihres Todes gewesen ist oder wer sich in ihrer Begleitung befunden hat?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht.«
    »Wissen Sie, wo er wohnt?«
    »Vermutlich in der Stadt. Aber zur Zeit ist er im Lager Volksruhm.«
    »Ja?«
    »Sie haben den Mechaniker doch gehört. Anklägerin Xu hat Leute aus dem Fuhrpark von Yutian verhaften lassen.«
    Shan sah sie nachdenklich an. »Aber Sie hat Xu nicht verhaftet. Obwohl Sie Laus Freundin sind. Und zwar weil die Anklägerin genau wußte, wo Sie sich zum Zeitpunkt von Laus Tod aufgehalten haben.« Er hielt inne und fragte sich, warum Jakli kaum einen Gedanken daran zu verschwenden schien, daß sie sich unerlaubt von ihrem zugewiesenen Arbeitsplatz entfernt hatte. »Waren Sie dort, in Ihrer Fabrik?«
    Jakli verzog das Gesicht und nickte, ohne den Blick von den Flammen abzuwenden. »Ich war einen Tag nicht da, als wir Lau in die Höhle gebracht haben. Dann bin ich wieder abgehauen, als ich hörte, daß Sie und Ihre Freunde kommen würden. Es arbeiten fast nur Kasachen und Uiguren dort, und einige sind meine Freunde. Sie decken mich. Es gibt da keine besonders strenge Überwachung, solange immer genügend Hüte produziert werden.«
    »Anklägerin Xu hat Sie vorhin gesehen. Kennt sie Ihr Gesicht?«
    Stirnrunzelnd blickte Jakli zu ihm auf, aber noch bevor sie antworten konnte, hörten sie oben an der Wiese Jowa rufen. Die drei Männer kamen in Sicht. Bajys mußte von Lokesh und Jowa gestützt werden. Allein schien er sich kaum auf den Beinen halten zu können.
    »Bajys muß beschützt werden«, sagte Shan.
    »Es gibt einen Ort tief im Kunlun«, erwiderte Jakli prompt, als habe sie auch schon darüber nachgedacht. »Einen tibetischen Ort. Jowa kennt ihn bestimmt.«
    Shan sah sie an. »Meinen Sie ein Versteck der purbas ?«
    »Es ist ein geheimer Ort.«
    »Gehören Sie auch dazu?« fragte Shan unvermittelt, bevor die drei Männer in Hörweite kamen.
    »Zu den purbas ? Die kämpfen für Tibet.«
    »Und Sie nicht?«
    »Ich kämpfe für mein Volk. Für die Kasachen. Für die Tibeter, wenn es mir möglich ist.« Jakli sprang auf, um Bajys auf die Veranda zu helfen. Dann übernahm sie fürsorglich das Kommando, schickte Shan zum Wasserholen, Jowa auf Brennholzsuche und Lokesh nach etwas trockenem Gras, um daraus für den erschöpften kleinen Mann ein Ruhelager zu bereiten.
    Bajys saß teilnahmslos da und starrte ins Leere, während sie ihm das Hemd auszog und seinen Körper mit dem kalten Flußwasser wusch. Er schien keinen der anderen zu bemerken.
    Sie teilten sich die zwei Tassen aus der Hütte, tranken Tee und warteten, bis Bajys sich umzuschauen begann, als würde ihm endlich klar, wo er sich befand.
    »Bajys, ich bin's«, sagte Jakli auf tibetisch. »Aus Akzus Lager.«
    Er sah sie ausdruckslos an.
    »Was ist in jener Nacht zwischen den Felsen passiert?« Sie

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