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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Gebet sprach. Ein Mantra für den Mitfühlenden Buddha.
    Als Shan draußen den nächsten Sack vom Lastwagen entgegennahm und zurück zu dem Gebäude aufbrach, wiederholte eine Stimme hinter ihm den Slogan der Einpeitscherin. Aber dann bemerkte Shan, daß der Mann den Wortlaut jedesmal ein wenig veränderte.
    »Wer ist der großartige Schuhmacher des Volkes?« sang der Mann. »Die Partei ist der großartige Schuhmacher des Volkes.«
    Seine Stimme war leise, aber dennoch laut genug, daß die anderen Träger seine Vorstellung belustigt verfolgen konnten. »Wer ist der großartige Friseur des Volkes? Die Partei ist der großartige Friseur des Volkes.« Einige der Männer lachten. Andere sahen sich nervös um, ob sie nicht zufällig jemand belauschte.
    Bei den Stufen vor der Tür mußte Shan kurz warten, bis der ältere Gefangene vor ihm den Sack mit Mühe nach oben geschleppt hatte. Er drehte sich zu dem unbekannten Spötter um. Es war ein hochgewachsener, grobknochiger Mann mit einem dichten gepflegten Schnurrbart, und er erwiderte Shans Blick mit säuerlichem Grinsen. »Wer ist der großartige Tierpfleger des Volkes?« fragte er und nickte Shan aufmunternd zu. Shan erwiderte nichts. Der Mann wiederholte die Frage.
    Shan nickte zurück, ohne dem höhnischen Blick des Mannes auszuweichen. »Die Partei ist der großartige Tierpfleger des Volkes«, sagte Shan leise.
    Das Grinsen des Mannes wurde breiter, und Shan erkannte, daß er an ihm vorbei zu Jakli schaute, die am oberen Ende der kurzen Treppe aufgetaucht war. »Allah sei gepriesen«, flüsterte er. Jakli nickte und bedeutete ihnen beiden, ihr in den Schatten auf der anderen Seite des Lastwagens zu folgen.
    »Demnach habt ihr euch schon kennengelernt«, stellte sie fest.
    »Nicht unbedingt«, entgegnete Shan.
    »Wangtu«, sagte Jakli und berührte den Mann dabei am Arm. »Das hier ist Shan. Er ist wegen Lau und der Kinder gekommen.«
    Aber Wangtu schien Shan bereits vergessen zu haben. Er sah Jaklis Finger an, die noch immer auf seinem Arm lagen.
    »Ich dachte, du wärst weg«, sagte er, auf einmal gar nicht mehr selbstsicher. »Es hieß, die Jadehure habe dich ins Visier genommen.« Er warf einen Blick auf den Lastwagen. »Du bist frei? Du bist draußen?«
    »Meistens jedenfalls«, sagte sie und erklärte den Grund für Shans Anwesenheit.
    Wangtu zuckte die Achseln. »Von Kindern weiß ich nichts«, sagte er ernst, als kämen Kinder in seiner Welt nicht vor. Während er Shan nachdenklich betrachtete, fuhr er mit der Zunge innen an der Wange entlang, als würde er in seinem Mund nach etwas suchen. »Wenn Jungen sterben, dann wegen ihrer Eltern.«
    »Diese Kinder hatten keine Eltern«, gab Jakli ungehalten zurück. »Laus Waisen. Einer war immer mit Bajys zusammen. Du kennst doch Bajys.«
    »Ich könnte dir Sachen besorgen«, sagte Wangtu zu Jakli. »Ich könnte dich besuchen kommen. Ich wohne in der Stadt.«
    »Momentan wohnst du im Lager Volksruhm.«
    »Das hier?« sagte Wangtu mit einer abfälligen Geste in Richtung der Baracken. »Das hier ist wie Urlaub. Ich singe ein paar Lieder und treffe alte Freunde.« Bei diesen Worten wurde er wieder ernst und warf Jakli einen bedeutungsvollen Blick zu.
    »Woher kennen Sie Bajys?« fragte Shan.
    Wangtu seufzte. »Er und dieser Junge helfen manchmal, Wolle in die Stadt zu bringen. Mal für den einen, mal für den anderen Clan. Sie wechseln nämlich immer wieder die Clans. Ein paar Wochen hier, ein paar Wochen dort. Das war Laus System. Ich treffe die Leute an verschiedenen Orten. Wenn die Brigade mich nicht für die Schule einsetzt, fahre ich Lastwagen für die Wollfabrik. Die Wolle wird dort gereinigt und zu Ballen verarbeitet, und dann bringe ich die Ware zu den Teppichfabriken nach Hotan«, erklärte er und bezog sich dabei auf die große Stadt fast zweihundert Kilometer westlich von Yutian, die früher ein wichtiger Handelsplatz an der Seidenstraße gewesen war.
    Shan sah zu Jakli. »Die Schule wird von der Brigade geleitet?« »Die Schule, dieses Lager und bald die ganze Welt«, sagte Wangtu leise.
    »Aber du hast etwas zu Bajys gesagt«, ließ Jakli nicht locker. »Du hast Bajys gesagt, Lau stecke in Schwierigkeiten.«
    »Dein Vater«, sagte Wangtu. »Ist er je zurückgekehrt?«
    Die Frage schien Jakli völlig unvorbereitet zu treffen. Sie wich Wangtus Blick aus und sah Shan an. »Wangtu und ich sind zusammen zur Schule gegangen«, erklärte sie.
    Wangtu grinste, als sei er für dieses Eingeständnis dankbar.
    Jakli

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