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Das Baby vom Deich

Das Baby vom Deich

Titel: Das Baby vom Deich
Autoren: Angelika Friedemann
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dem Haus geschlichen, weil wir sehen wollten, wie der blanke Hans wütet. Wir waren noch nicht oben angekommen, da hat uns der Wind umgepustet. Das sind für Nichtfriesen unvorstellbare Gewalten, die da einwirken. 1999, 2006, 2007 kamen die Nächsten, aber alle eher harmloser Natur. Bist du länger hier, wirst du kleiner Sturmfluten erleben und staunen, was da auf dich einwirkt."
"Stimmt es, dass man da Menschen und Tiere lebendig mit eingebuddelt hat?"
"Du meinst so wie bei Hauke Haien?", lachte Eike. "Angeblich ja, bevorzugt wohl kleine Kinder und Tierkinder. Man hat sogar weiter südlich ein Skelett eines Kindes gefunden. Keine Sorge, heute macht das keiner mehr. Mein Opa ist 85 und der hat da die tollsten Storys auf Lager. Wir haben Pferde, und als wir Knirpse waren, wollten wir egal wie, auf die großen Gäule. Wir haben uns da die tollsten Dinger zusammengebaut, nur damit wir darauf kamen. Prompt landeten wir auf der anderen Seite wieder unten. Mein Bruder hat sich dabei den Arm gebrochen. Opa kommt an, tut hanfuudern und meint, machen wir weiter ständig irgendwelchen Unfug, holt man uns beim nächsten Deichbau. Jungs, die nur dumm Tüch im Kopf hätten, kämen da immer zuerst an die Reihe."
"Hat es geholfen?"
"Nein, eigentlich nicht. Wir kannten ihn zu prägnant und wussten, er würde das nie zulassen. Irgendwie hat es ihm sogar gefallen, dass wir so waren. Mein Vater und seine drei Geschwister waren da nie anders. Wir waren eben keine Bangbüx, selbst meine vier Jahre jüngere Schwester nicht. Wat mut dat mut."
"Sieht sie dir ähnlich?"
Erstaunt blickte er den Mann an. "Ein wenig. Warum?"
"Nur so. Ist sie vergeben?"
"Verheiratet, hat zwei Kinder. Da kommst du sieben Jahre zu spät."
"Schade!"
Die feuchte Luft schmeckt salzig. Eike deutete auf die hauchdünnen Schichten von Kieselalgen, darauf winzige grasende Wattschnecken.
"Direkt unter der Oberfläche leben unzählige Herzmuscheln. Angeblich bis zu 100.000 auf einem Quadratmeter. Die länglichen Dinger sind Wattwürmer. Wenn du näher herangehst, erkennst du deutlich die Kiemenbüschel. Der bohrt sich Zentimeter für Zentimeter in den Boden hinein. Daneben leben im flachen Meeresboden Tierarten wie Pfeffermuschel und Herzmuschel. Ein Schlemmerparadies für die Vögel."
Er beobachtete einen Sonnenstrahl, der über das ausgedehnte, von Prielen durchzogene Watt, wie ein schmales Feuerband seinen Schimmer verbreitete.
Eike blieb stehen und hob das Fernglas, schaute über das seichte Wattenmeer. "Da schwimmt etwas. Sieht wie Stoff aus. Gehen wir ein paar Schritte hoch, da erkennt man das besser."
Er blieb abermals stehen und suchte die Wasseroberfläche ab.
"Da schwimmt wirklich was."
"Wie willst du das holen?"
"Du bist an der Reihe", griente er, beobachtete wie das blauweiße Stück auf und ab, von den kleinen Wellen getragen wurde. Er reichte ihm das Fernglas. "Schiet! Ich muss telefonieren. Schau, ob du noch etwas entdeckst."
"Andrea, beschreib mir bitte die Kleidung der verschwundenen Deern."
"Schiet! Ich glaube, wir haben sie gerade gefunden. Sie schwimmt in der Nordsee, etwas oberhalb von Finkenhaushallig." "Nein, ich gehe erst hinein und melde mich dann."
"Denkst du, das ist eine Frau?"
"Sieht so aus. Gehen wir runter."
Sie eilten bis zum Rand der der Grasfläche.
"Stell die Sachen hier ab." Erlegte den Fotoapparat auf den Koffer.
"Da mein Handy." Er zog die Schuhe aus, das Shirt, schaute sich kurz um, bevor er aus der Jeans schlüpfte.
Nur in einem eher knappen Slip legte er die Hose beiseite, achtete darauf, dass nichts aus der Tasche fiel. "Hoffen wir, dass nicht gerade jemand kommt."
"Warum? Du hast einen tollen Body."
"Trotzdem muss mich nicht jeder so sehen. Zieh deine Schuhe, Strümpfe aus und krempel die Hose etwas hoch. Du musst mir helfen und pass auf mein Handy auf. Das ist neu und war teuer. Wenn ich winke, rufe Andrea an. Zwei Streifenwagen und das Übliche. Sie soll den Staatsanwalt anrufen."
Er überquerte den schmalen geteerten Weg, versank in dem dunkel- grauen Schlick und fluchte, dass es noch lausig kalt war. Er würde gleich, wie ein Schwein nach einem ausgiebigen Suhlbad aussehen. Angeblich sollte diese Matsche ja gesund sein, versuchte er sich aufzuheitern, während er tiefer und tiefer in dem dunkelgrauen Morast versank. Er erblickte einige Grünalgen, amüsierte sich über die Möwen, die er störte und die laut schreiend aufflogen. Seit Jahren waren die Nährstoffe Stickstoff und Phosphat in der Nordsee deutlich angestiegen. In
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