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Das Baby vom Deich

Das Baby vom Deich

Titel: Das Baby vom Deich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angelika Friedemann
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ihr Auto auf die andere Straßenseite geschleudert wurde, wo er nochmals von einem Lastwagen erfasst wurde. Mein Sohn war trotz angeschnallter Babywanne sofort tot, sie starb wenig später. Bis auf den Kopf gab es fast keine heilen Knochen mehr, dazu viel Blut. Sie war kaum noch als Mensch erkennbar. Meinen Sohn hatte der seitliche Aufprall auf die andere Sitzseite zusammen- geschoben und man fand nur noch ein kleines Etwas, dass einmal ein Säugling war. Von ihrem Auto lagen überall Teile herum, selbst ihr Handy war Schrott. Das Paradoxe war, dass ein kleiner Bär unbeschadet, nicht einmal schmutzig, das überstanden hat. Den hatte ich am Vortag gekauft. Der LKW-Fahrer hatte einen Schock und einen gebrochenen Arm. Der Unfallverursacher ist bis auf einige kleine Schürfwunden nichts passiert. Er stand lallend an der Seite, konnte nicht begreifen, wieso da ein Auto kam. Er hat behauptet, sie wäre angerast gekommen, wollte noch einen Schluck aus einer Flasche mit Fussel nehmen. Das Gutachten hat hinterher festgestellt, der Kerl ist mit vierzig auf den Wagen meiner Frau aufgeprallt. Null Bremsspuren. Sie ist langsam gefahren, da sie vorn an der Ampel gehalten hatte. Zwei hinter ihr fahrende Autos hatte Glück, dass die Fahrer noch bremsen konnten und nur ein Blechschaden bei ihnen entstand. Man hat meinen damaligen Chef und mich angerufen, eben weil der Fahrer voll war, sich weigerte, eine Blutprobe abzugeben. Ich ahnte da noch nicht, dass ich meine Frau und meinen Sohn nicht nur tot, sondern völlig deformiert auffinde. Ich habe viele Verkehrsunfälle, einige Tote gesehen, habe auf einer Notfallstation gearbeitet, habe dessen ungeachtet zuvor noch nie so etwas dermaßen Gruseliges gesehen. Es hat einen halben Tag gedauert, bis die Straße wieder befahrbar war und man das Trümmerfeld beseitigt hatte."
"Wie verkraftet man so etwas?"
"Zuerst mit Alkohol. Ich war fast eine Woche betrunken, habe geheult, getobt, gewütet oder bin irgendwo besoffen eingeschlafen, um kurze Zeit später hochzuschrecken, weiter das Zeug aus der Flasche in mich hineinzukippen. Du siehst in deiner Wohnung überall Sachen von den beiden, denkst irgendwann, du wirst verrückt. Meine Familie hat kurzen Prozess gemacht. Ich wurde bei meinen Großeltern eingesperrt, ohne Alkohol. Ich musste morgens mit Opa ausreiten, drei Mahlzeiten essen, den Pferdestall säubern, mit Opa Schach spielen und so weiter. Du kennst meinen Opa nicht. Er kann da eminent autoritär sein, und wenn ich nicht spurte, wurde ich angeschnauzt. Am ersten Abend wollte ich an seine Schnapsflaschen, da stand er vor mir, nahm mir die Boddel ab, kippte das Zeug in die Spüle, füllte Wasser ein und gab sie mir. Kannst du trinken, hat er mich ins Bett geschickt. Zuweilen hatte ich das Gefühl, ich drehe durch, werde verrückt. Mein Vater hat mir sogar eine geklatscht, das erste Mal in meinem Leben, weil ich herumbrüllte. Meine Mutter und meine Schwester haben in der Zeit meine Wohnung ausgeräumt. Als die Beerdigung vorbei war, bin ich wieder arbeiten gegangen. Das war die beste Ablenkung. Erst da habe ich langsam kapiert, was es auch für meine Familie für ein Schicksalsschlag war. Sie haben Iris geliebt, das erste Enkelkind, den ersten Urenkel verloren. Es hat eine Weile gedauert, bis wir zur Normalität zurückfanden."
Von seinen jahrelangen Albträumen, den Wochenenden, die er mit hektischer Betriebsamkeit ausfüllte, von seiner Trauer, dem Schmerz über den Verlust, teilweise seiner Wut, berichtete er nicht.
Eike bog ab. "Weißt du, was das Schlimmste für mich war? Die Leute, wenn sie noch Monate später mit ihrer Beileidsmasche ankamen und dem Spruch, es tut mir sooo leid. Sie kannten Iris teilweise nicht einmal. Ich hasse das bis heute, deswegen rede ich selten davon. Keiner kann wirklich nachvollziehen, wie sich ein Mensch fühlt, der das erlebt hat. Blöde, leere Floskeln. So und damit ist das Thema beendet."
"Danke, dass du es mir erzählt hast."
"Wir sind da. Wir warten, bis die anderen kommen, und denke daran, der Typ ist vermutlich bewaffnet und hat davon in der Vergangenheit reichlich Gebrauch gemacht. Seine Braut ist eine völlig durchgeknallte hysterische Furie, ebenfalls mehrfach vorbestraft. Also pass auf sie auf. Zieh die Schussweste über und Rolf, kein Wort zu Andrea. Sie regt sich sonst noch stundenlang darüber auf."
Eike ging voraus, setzte ein Basecap mit dem Postemblem auf und klingelte, nachdem er sich nochmals vergewissert hatte, dass alle auf ihren

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