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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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glauben können, der Raum werde durch eine dramatische Kuppel gekrönt, in Wahrheit jedoch war die Decke flach.
    »Hmm«, machte der Bassist. Keine Melodie diesmal, sondern ein nachdenklicher Laut. »Hmmm …«, wiederholte er, und nach und nach wurde nun doch eine Melodie daraus: » Hmm-hm-hm-hm Hmm-hm-hm-hm-hm. Thou shalleth keep this stuff di-hisguised / until the-he thi-hings to co-home arrive.« Styx brach ab. Grüblerisch sah er empor zur Figur des Duke, der mit verklärter, aber irgendwie nicht sonderlich scharfsinniger Miene unter seiner Lockenpracht hervorblickte, in unbekannte Weiten oder auf die versammelte Gemeinde zu seinen Füßen. »Hmm«, machte Styx noch einmal, doch dann, ohne erkennbaren Anlass, begann er plötzlich gackernd zu kichern. Ein Kichern, das immer höher wurde, bis Amadeo der Verdacht kam, der Bassist versuche sich auf die Frequenz von Händels berühmten Kastratentenören einzustimmen. Zweimal musste Styx ansetzen, bis es ihm wieder gelang, in eine Melodie zu finden. Eine Melodie, die offenbar identisch war mit der vorhergehenden, aber kaum zu verfolgen vor Japsen und Kichern: » From Thy ete-he-herna-hal Throne / Look with a-han eye o-hof blessi-hing down.«
    Der Bassist hielt sich den Bauch: »Vile! Really, really, really vile! Monstrous! - Aber es ist so treffend, ist es nicht? So ungehört treffend!«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen …«, begann Amadeo.

    » Judas Maccabeus !« Styx trug noch immer Amadeos Sakko. Mit dem Ärmel tupfte er sich die Tränen ab. »Oh, I’m so sorry! Das oratory von Judas Maccabeus! Das ist ein Priester von den Israeliten, der das singt. Ein Priester, der fleht zu Gott, dass er sein ehrwürdiges Auge niederwerfen soll, zu segnen das tumbe Volk. Ich hatte geglaubt, dass damit ein Ort in der Kirche verschlüsselt sein müsste, wo der Herr vom Kreuz auf die Gemeinde blickt. Doch da war kein Altar in der Kirche.«
    »Aber hier ist auch keiner«, bemerkte Amadeo. Warum nur hatte er das Gefühl, gerade hoffnungslos auf dem Schlauch zu stehen?
    »Nein, hier ist auch keiner.« Noch immer prustend deutete Styx auf das überdimensionierte Grabmal. »Aber hier ist er ! Der Duke, der auf uns niederblickt, als ob er noch wäre … der Chef von dem allen. Von dem Land, von Canons, vom Park und so fort. Aber in Wahrheit ist nichts mehr da vom Schloss und vom Park, wie er ihn ausgeformt hat - und Händel hat das gewusst, weil der Duke lange Jahre vor ihm verblasst ist. Und er war finished ! Er war finished, der Duke, als er verblasst ist. Er war ruiniert mit seinen Finanzen. Wir wissen nicht, ob er Händel irgendwann gefeuert hat, aber der hat Canons jedenfalls nach einigen Jahren verlassen. Und hier, mit der letzten Station von seinem Code, sagt Händel … revenge is sweet . Wie sprechen Sie im Deutschen?«
    »Rache ist süß?«, schlug eine höfliche Stimme vor.
    Amadeos Haltung gefror.
    Er erkannte die Stimme auf der Stelle.
    Monatelang hatte er davon geträumt, dass er sie noch einmal hören würde, lange bevor die babylonischen Albträume begonnen hatten, ihn heimzusuchen.
    Er hatte davon geträumt, dass sie zu ihm sprechen würde,
in exakt diesem Tonfall und in exakt einer solchen Situation. In einem Moment, in dem er sich in einer Sackgasse befand - einem finsteren Keller, einer Höhle oder eben einem Mausoleum, aus dem nur ein einziger Weg ins Freie führte. Und dieser Weg war versperrt.
    Zollweise drehte Amadeo sich um.
    Seine Glieder waren gefrorenes Eis.
    Görlitz war … War das Görlitz? War das der Mann, mit dem er in Weimar Seite an Seite gearbeitet hatte? Steffen Görlitz mit seinen gegelten Haaren und seiner schmierigen Art, auf den Rebecca und er bei der Jagd nach der Letzten Offenbarung so unvorbereitet gestoßen waren? Der sie an den Kardinalstaatssekretär der Heiligen Kirche ausgeliefert und anschließend durch halb Europa verfolgt hatte?
    Görlitz war nicht wiederzuerkennen. Sein Gesicht war in einem Hass verzerrt, der den freundlichen Ton seiner Stimme Lügen strafte. Doch selbst wenn es einen neutralen Ausdruck getragen hätte, wäre es Amadeo eiskalt den Rücken heruntergelaufen bei diesem Anblick. Görlitz war entstellt, seine Züge zerfetzt und zerschunden von schlecht verheilten Narben - und er hatte kein einziges Haar auf dem Kopf.
    Das Schlimmste aber war …
    »Ich habe dich gesehen«, flüsterte Amadeo. »Potsdam! Das Café! Vorgestern!«
    »Es ist wirklich nicht zu glauben«, murmelte Görlitz tadelnd. Er stand in der

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