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Das Babylon-Virus

Das Babylon-Virus

Titel: Das Babylon-Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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bedeutete ihnen zu warten, während er sich zunächst allein an den Aufstieg machte, an ein, zwei Stellen Steigeisen ins Gestein schlug. Der Trupp war nicht vollständig ohne Ausrüstung. Einen Teil der Pioniergerätschaften hatten die Soldaten bergen können, bevor sie ihre Fahrzeuge verlassen hatten.
    Rebeccas Blick ging hinab zu der langen, müden Reihe der ISAF-Männer. Ein Stückchen unterhalb hatte sich ein Grüppchen gebildet. Einer der Soldaten lag am Boden.
    Plötzlich hatte Rebecca ein sehr ungutes Gefühl im Magen. Sie war im Begriff, umzukehren. Die Tasche mit ihren Instrumenten und ein paar Medikamenten hatte sie nach wie vor dabei. Vielleicht konnte sie etwas tun.
    Mit zischenden Stimmen unterhielten sich die Männer, und dann, noch bevor Rebecca drei Schritte gemacht hatte …
    Mit einem Mal hatte einer der Männer eine Pistole in
der Hand, reichte sie dem am Boden Liegenden, und - der Schuss hallte von den Bergen wider.
    »Was zum …« Merthes fuhr herum. Er hatte sich eben über das Gesims geschoben.
    Der Kamerad des Mannes nahm seine Waffe wieder an sich. Ein anderer Soldat faltete die Hände des Toten ineinander.
    »Vierundzwanzig«, sagte Alyssa mit ruhiger Stimme.
    »Verdammt!«, murmelte Merthes, doch sein Blick sagte alles.
    Wie von selbst tastete Rebeccas Hand nach der Ausbuchtung der Waffe unter ihrer dunklen Jacke, die sich von den Kampfanzügen der Soldaten kaum unterschied. Wenn es so weit war, würde jeder von ihnen ganz allein die letzte Entscheidung treffen müssen. Es war kaum anders gewesen, damals bei den Rebellen. Rebecca konnte nur hoffen, dass sie auch heute die Kraft dazu haben würde.
    Einer der Männer warf dem Oberst ein Seil hoch. Merthes sicherte es, und einer nach dem anderen zogen sie sich an der Felswand empor.
    Der Kommandeur hatte den Feldstecher an seine Augen gebracht, blickte in die Ferne.
    Noch immer bot der Ausläufer des Pharaonenstuhls ihnen einen gewissen Schutz, doch im Grunde hätten die Aufständischen auf der anderen Seite des Talkessels einfach nur ebenfalls höher klettern müssen, und schon hätten sie wieder freies Schussfeld gehabt. Doch die Schlucht lag wie ausgestorben im Dämmerlicht - ausgestorben im grauenhaftesten Sinne des Wortes. Von den Wracks der Konvoifahrzeuge stiegen einzelne Rauchfahnen auf. Leichen konnte Rebecca mit bloßem Auge nicht erkennen - vielleicht war das ja dem Oberst mit seinem Feldstecher möglich.
    »Vielleicht denken sie, sie haben uns alle«, sagte einer der
Männer mit leiser Stimme - und einem Schniefen, bei dem sich Rebecca fragte, ob es wirklich nur auf die Grippe zurückzuführen war.
    Automatisch sah sie genauer hin. Männer? Sofort wandte sie den Blick wieder ab. Der Junge hatte Sommersprossen ! Er war kaum älter als Fabio Niccolosi. Aber, nein, sie musste sich täuschen. Die Deutschen setzten in Afghanistan niemanden ein, der einfach nur seinen Wehrdienst leistete. Alle diese Männer waren Berufssoldaten, und sie hatten sich klar sein müssen über die Risiken.
    Doch kein theoretisches Szenario hält mit der Wirklichkeit mit, dachte Rebecca. Nicht, wenn die Wirklichkeit Krieg heißt.
    »Wir haben noch eine halbe Stunde Licht«, brummte Merthes. »Kommen Sie! Weiter!«
    Der Weg bergan tauchte nach wenigen Metern in eine Art Pass ein, zu beiden Seiten von hoch aufragenden Felswänden flankiert. Eine Stelle, die Rebecca auf unangenehme Weise an die Videoaufzeichnung erinnerte. Sie hatte eben den Mund geöffnet, als die Steilwände ein Stück zurückwichen, der Pass sich in eine tief ins Gelände eingekerbte Schlucht verwandelte.
    Die geglättete Fläche mit den archaischen Schriftzeichen wirkte weit gewaltiger, als es aus den verwackelten Bildern zu erahnen gewesen war. Zwanzig, vielleicht dreißig Meter hoch insgesamt. Selbst die untersten Symbole, in griechischer Sprache, wie Rebecca inzwischen wusste, mussten jedes für sich noch mindestens so groß wie ihre Handfläche sein.
    »Eine Grenze«, sagte Alyssa leise. Sie war an der Seite ihrer Schwester stehen geblieben. »Die Grenze zwischen dem Land, das Menschen betreten dürfen, und dem Land, in das sie nicht hineindürfen.«

    Unruhig glitt Rebeccas Blick über die Felswände. Das Ocker des Gesteins wirkte wie getrocknetes Blut im Licht des Abends. Wo waren die Wächter, die dafür Sorge trugen, dass niemand diese Grenze überschritt? Genau an dieser Stelle hatten sie im Juni die ISAF-Patrouille erwartet. Jetzt aber lag die verwinkelte Schlucht menschenleer vor

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