Das Babylon-Virus
der zu ihren Füßen in engen Serpentinen den felsigen Hang hinabführte? Ein ganzer Fächer von Wegen zog sich aus den unterschiedlichsten Winkeln des Irrgartens dem weit entfernten, dunklen Torweg entgegen. Wie ein schwarzes Loch, dachte Rebecca. Eine umgekehrte Sonne, die die Strahlen des Lichts in sich aufsog, oder wie …
»Ein Spinnennetz«, hauchte sie. Ihr Blick haftete an dem fernen, dunklen Umriss.
» Domus arachneae . Das Haus der Spinne.«
Abbazia di San Michele am Monte Vulture, Basilicata, Italien
Sie hatten fast zwei Stunden verloren. Eine davon auf der Suche nach einem Landeplatz in vertretbarer Entfernung vom Monte Vulture, die andere für den Fußmarsch bis zu ihrem Ziel.
Zwei Stunden, in denen viel geschehen sein konnte. Bei jedem Schritt bergan war Amadeo darauf gefasst gewesen, in ihrem Rücken das viel zu schnell näherkommende Motorengeräusch zu hören, das sie schon am Castel del Monte aufgeschreckt hatte. Wie lange würde es dauern, bis Görlitz begriff, dass er auf der kaiserlichen Festung in eine Sackgasse gelaufen war?
Ein letztes Mal sah sich der Restaurator unruhig über die Schulter um. Trügerisch glatt lag die Wasserfläche eines kleinen Sees im Abendlicht; ein idyllischer Ort, solange man nicht wusste, dass das gesamte lauschige Örtchen nichts anderes war als der Krater eines erloschenen Vulkans. Und erloschen bedeutete in Italien nicht viel mehr, als dass über den letzten größeren Ausbruch keine genaueren Aufzeichnungen existierten.
»Da untendrin, denken Sie? Sieht ziemlich tief aus.«
Amadeo zuckte zusammen. Er hatte den commandante fast vergessen.
»Nein«, murmelte er. »Ich meine: doch. Das Wasser ist ziemlich tief hier, und …« Er zögerte. Ob Duarte wusste, dass das kristallklare Nass nicht allein bei Touristen beliebt
war, sondern gleichermaßen bei den örtlichen Dependancen der Camorra und ’Ndrangheta ? Was hier versenkt wurde - mit Beton an den Füßen -, tauchte so schnell nicht wieder auf.
»Nein«, murmelte Amadeo. »Nein, nicht der See ist das Versteck. Wenn ich versuche, zu denken, wie Friedrich gedacht haben muss, kommt im Grunde nur eine Möglichkeit in Frage. - Denke ich«, fügte er hinzu. »Doch, ich bin mir ziemlich sicher.«
»Satteln Sie bloß nie auf Gebrauchtwagenhändler um«, brummte der commandante .
Amadeo wandte sich langsam um: ein massiges, weiß gekalktes Gebäude, das auf den ersten Blick eher an eine Festung erinnerte als an das Kloster, das es in Wahrheit war. Man musste kein Architekturexperte sein, um zu erkennen, dass der Klotz erst Jahrhunderte nach Kaiser Friedrichs Tod entstanden war.
»San Michele«, sagte Amadeo. »Ursprünglich eine Gründung griechischer Mönche - elftes Jahrhundert, am Beginn der Normannenzeit. Heute natürlich nicht mehr das Originalgebäude. Die Anlage ist später von den Benediktinern übernommen worden und war dann ein bedeutender Wallfahrtsort.«
»Unser Ziel?«
»Unser Ziel«, bestätigte Amadeo. »Ich denke, das dürfte die Klosterpforte sein«, murmelte er und deutete eine steinerne Treppe empor.
Der commandante war schon beim Aufstieg. »Jedenfalls gibt es eine Klingel«, hörte Amadeo seine Stimme.
Aus dem Innern des Gebäudes war der weihevolle Laut einer Glocke zu vernehmen. Als Amadeo den Mann in der Soutane einholte, entdeckte er eine massige Holztür, die im Begriff war, sich einen Spalt breit zu öffnen.
»Mi dica?«
Was wünschen Sie? Einladend klang anders. Der durch eine Atemmaske gedämpfte Tonfall sagte mehr als die Worte.
Der feisteste Mönch, den Amadeo jemals zu Gesicht bekommen hatte. Er trug den dunklen Habit der Benediktiner, der in diesem Fall auch als Zweimannzelt hätte dienen können. Mit prüfendem, fast abweisendem Gesichtsausdruck musterte der Dicke Amadeos dunkelhäutigen Begleiter.
Eilig schob sich der Restaurator vor den commandante . »Wir … möchten das Felsenheiligtum aufsuchen«, erklärte er hastig, verfluchte sich jetzt, dass er bis zu diesem Moment ein Geheimnis aus ihrem genauen Ziel gemacht hatte. Duarte besaß eine natürliche Autorität, die in neun von zehn Fällen bereits ausreichte, um sein Gegenüber einzuschüchtern. Hier hatten sie offenbar den zehnten erwischt.
»Ich bedaure.« Der Dicke war schon im Begriff, die Tür wieder zu schließen. »Das ist gegenwärtig nicht möglich.«
»Wir …« Amadeo holte Luft. »Wir sind einen weiten Weg gekommen. Bitte, es ist wirklich wichtig! Wir wollen … äh … beten.«
Er biss sich auf
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