Das Band der Magie
mir was!“
Er hob die Arme und strich mir über das Gesicht. Unendlich zart. Ich kämpfte mit plötzlich aufsteigenden Tränen und beunruhigte ihn dadurch nur noch mehr. „Es ist das“, flüsterte ich schließlich.
„Was – das? Was meinst du?“
„Die Art, wie du mich gerade berührst. Wie du mich umarmst. Dass du mich überhaupt umarmst. Deshalb bin ich grad ein bisschen verzweifelt.“
Keelin starrte mich an, als sei ich von den Monden.
„Ich war lange Zeit ein ziemlich einsames Mädchen, weißt du?“, versuchte ich, es genauer zu erklären. „Der Wolf war mein Weggefährte, aber du, als Mensch … Verzeihung, als Mar … ich weiß nicht. Es ist irgendwie komisch. Wenn du mich so in den Armen hältst, dann werde ich ganz atemlos und mein Herz wummert heftig und in meinem Bauch entsteht ein dicker Knoten und gleichzeitig tanzen darin ganz viele Geister. Und das, obwohl ich eigentlich so schrecklich traurig sein sollte wegen Tristans Tod, aber …“
Ich unterbrach meine Ausführung, weil Keelins Augen riesengroß wurden. Wir starrten uns an.
„Ich weiß schon, was Liebe heißt“, sagte ich leise. Keelin rückte etwas von mir fort, was tief in mir weh tat. Ich sprach trotzdem weiter, weil ich gerade in Fahrt kam und alles raus musste. „Die Vögel schnäbeln dann ganz aufgeregt mit ihrem Partner und würgen Futter hervor. Der Bulle reibt sich die ganze Zeit an seiner Kuh und die Wölfe lecken sich das Fell gegenseitig sauber und schnüffeln am Hinterteil des anderen. Die sind dann alle ganz toll. Aber wie das bei einem Menschen oder einem Mar abläuft, weiß ich nicht.“
Keelin blinzelte und versuchte, meine tierischen Beispiele mit unserer Situation überein zu bekommen. „Also, sie würgen kein Futter hervor und füttern sich.“
„Aber sie kuscheln.“
„Ja.“
Keelin schien das Thema unangenehm zu sein, denn er richtete sich auf und brachte dadurch etwas Abstand zwischen uns. Er ließ mich los. Verdammt. Zu meiner Überraschung sah ich im Dämmerlicht des Morgens ganz eindeutig eine leichte Röte in seinem Gesicht aufsteigen, vom Hals bis zur Stirn.
Er starrte kurz ins Nichts, nahm dann aber immerhin meine Hand und sah mich an. „Ich verstehe, was du mich fragen willst. Die Mar werben umeinander ähnlich wie Menschen. Sie machen ihren Frauen Geschenke, Komplimente und laden sie zu einsamen Spaziergängen ein. Erst, wenn es eine gewisse Nähe gibt, umarmen sie sich und küssen sich auf den Mund.“ Er tippte mit der freien Hand auf seine Lippen.
„Das hab ich schon öfter gesehen“, erwiderte ich genervt. Natürlich küssten sie sich. Vorsichtig sagte ich: „Du hast mich auf den Mundwinkel geküsst. Zählt das?“
Er wurde noch roter.
„Habe ich das?“, fragte er, irritiert über sich selbst. Er schien sich wirklich nicht mehr zu erinnern. Mal wieder. „Mundwinkelküsse zählen wohl eher nicht, denke ich. Aber die Küsse, die ich meine, sind anders, intensiver.“ Er sah mich plötzlich scharf an. „Du darfst dich nicht einfach so von einem Mann küssen lassen, okay?“
Ich richtete mich auf. „Keelin, du brauchst mich nicht aufzuklären! Ich weiß schon, wie die Kälber in den Bauch der Mutter kommen. Ich hab es oft genug beobachtet. Was ich wissen will, ist, was zwischen uns beiden ist, warum ich jetzt plötzlich so fühle, wie ich fühle, ob das normal ist und wünschenswert oder ob ich mich lieber dagegenstemmen sollte. Und natürlich: Was du fühlst, das würde mich ziemlich interessieren.“
„Weißt du, normalerweise macht man das so ganz klammheimlich mit sich selbst ab, zumindest ihr Mädchen, ihr Frauen macht das so. Ihr sprecht mit euren Freundinnen darüber und dann nehmt ihr das Werben des Mannes an oder eben nicht.“
„Ich habe aber keine Freundin und niemanden, mit dem ich darüber sprechen kann“, entgegnete ich gereizt.
„Ich weiß. Und ich bin auch der erste Mann, der dich umarmt hat. Entschuldige. Ich hätte daran denken sollen.“
„Was soll das denn jetzt bitte heißen?“
„Das heißt, dass dein Körper ganz natürlich auf mich reagiert. Das hat nichts mit mir zu tun, schätze ich. Deine Auswahl war reichlich eingeschränkt und …“
„Du willst mir jetzt nicht sagen, dass ich mich in dich verliebt habe, weil du der einzige Mann in meinem Leben bist und ich keine andere Möglichkeit hatte.“
Als ich das gesagt hatte, wusste ich, dass es ein Fehler gewesen war. Bei allen Geistern, wie hatte ich mich denn in diese Situation manövrieren
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