Das Band der Magie
stattdessen Keelin rammte und zu Boden schleuderte.
Ich lief noch ein paar Meter weiter und stoppte dann, um Meeha aus weit aufgerissenen Augen anzusehen. Sie war eine gigantische Ratte mit blauen Punkten auf violettem Untergrund. Anstatt des ekligen, langen Rattenschwanzes hatte sie einen Puschel am Hintern kleben, der hektisch die Farbe wechselte, und die Schlappohren eines Langohrkaninchens.
Sie ging mir bis zum Kopf. So groß hatte sie sich noch niemals gemacht.
Keelin wirkte auch geschockt. Er hechelte hektisch und hatte sich auf dem Geröll ganz klein gemacht. Das Riesenrattenkaninchen ließ er keine Sekunde aus den Augen.
Meeha zischte ihn indes böse an und zeigte lange Rattenzähne. Dann schwang ihr gewaltiger Kopf zu mir herum und sie verwandelte sich innerhalb von einer Sekunde in einen goldenen Fuchs in normaler Größe.
Mit erhobener Rute stolzierte sie an mir vorbei.
Ich folgte, obwohl ich mich zu jedem Schritt zwingen musste. Denn jetzt war ich in Alkamir, der Festung, in der die Shadun fast vollständig vernichtet worden waren.
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Vielleicht eine Menge Tote, die verrottend herumlagen. Der Kampf war aber vor fast zehn Jahren gewesen, genug Zeit, dass die Natur hierher zurückgekehrt sein könnte.
War sie aber nicht.
Über Alkamir lag eine gespenstische Stille, als habe das Leben den vielen Gräuel, die hier geschehen waren, noch nicht verziehen. Es gab wie auf der Ebene davor kein Fitzelchen Grün, keine Blume, keine blühenden Büsche, nicht mal Unkraut.
Stattdessen nur grauer Stein und jede Menge zerbrochener Schwerter, Äxte und Lanzen. Selbst der Karren, der verlassen mitten im Hof stand, wirkte grau und farblos.
Ich blieb mit klopfendem Herzen stehen, denn plötzlich hatte mich mein Mut verlassen. Was wollten wir denn hier überhaupt? Hier war ja nichts mehr!
Keelin lag noch immer in dem schmalen Durchgang und rührte sich nicht. Es sah nicht so aus, als würde er auch nur eine Pfote auf den Boden von Alkamir setzen.
Aber er musste mich begleiten. Ich wusste ja gar nicht, was ich hier tun sollte!
Also drehte ich mich um und sah ihn an. „Keelin, komm! Wir müssen das zusammen machen!“
Keelin rührte sich nicht, winselte nur leise.
„Ich weiß, dass du nicht hier sein willst. Ich weiß auch, dass du nur durch die Wolfsgestalt überleben konntest. Aber das ist auf Dauer keine Lösung. Komm! Lass es uns zu Ende bringen.“
Ich winkte ihm zu, er blieb liegen, aber ich sah zumindest, dass eine Pfote zuckte. Er wurde unsicher.
„Ich geh auf jeden Fall weiter“, sagte ich möglichst fest. „Mit oder ohne dich. Aber mit dir wäre es deutlich weniger gefährlich. Wer weiß, wer oder was sich hier rumtreibt. Ich könnte angegriffen und verletzt werden.“
Damit hatte ich ihn, ich sah es genau in seinen Augen. Sein Beschützerinstinkt war nach wie vor bei ihm die dominanteste Eigenschaft. Warum sonst hätte er ein Mädchen vor einem Usurpator retten sollen, obwohl es gerade eben erst auf ihn geschossen hatte?
Die nächste Pfote zuckte. Ich nutzte die Chance: „Vertrau mir“, sagte ich.
Da stand er auf und kam geduckt zu mir herüber.
Wir befanden uns jetzt zwischen zwei Mauern: zwischen dem ersten und dem zweiten Wall. Vom zweiten Wall war eigentlich gar nichts mehr übrig. Nur ein einziger Turm stand noch, hundert Meter hoch, allerdings war seine Spitze abrasiert worden. Ich kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können.
Tatsächlich. Auf der obersten Ebene des Turms stand eine einsame Gestalt, eine Art Denkmal oder so, ein Mann mit hoch erhobenen Schwert. Vielleicht ein Kriegerdenkmal der Menschen? Als Sinnbild, dass sie hier gesiegt hatten?
Mir lief ein Schauer über den Rücken und ich ging lieber weiter. Diesmal folgte mir Keelin, dicht an meine Hüfte gepresst, ein sehr vertrautes Gefühl.
Wir durchquerten den Zwischenhof und kletterten über den zweiten Wall. Doch bevor ich die Füße auf den Bereich dahinter setzen konnte, verharrte ich erschrocken in der Bewegung.
Auch hier herrschte Totenstille. Auch hier gab es nichts Buntes oder Lebendiges, zumindest nicht im eigentlichen Sinn. Aber es gab hier jede Menge Geister.
Tausende, Millionen, die hin- und her flitzten, als hätten sie etwas besonders Wichtiges zu tun.
Hinter dem zweiten Wall hatten sich die ersten Wohnhäuser befunden, doch auch die waren bis auf die Grundmauern zerstört. Viele schienen niedergebrannt worden zu sein, andere waren wohl von
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