Das Band der Wünsche: Roman (German Edition)
durchgehen und vor allem ihre Aufzeichnungen für eine Präsentation überarbeiten, die sie gerade vorbereitete. »Vorzüge der Chemotherapie in Kombination mit fokaler Therapie und ihre Auswirkung auf intraokulare Retinoblastome als Alternative zu Enukleation und Strahlentherapie.« Schon allein den Titel zu lesen, strengte sie an. Sie hätte sich am liebsten in ihrem Schreibtischstuhl zurückgelehnt und die Augen geschlossen, aber sie hatte Savannah versprochen, pünktlich zu Hause zu sein, und sie würde ihr Versprechen halten.
Als sie gerade ihren Schreibtisch für den nächsten Tag aufgeräumt hatte, klingelte das Telefon. Jonahs Name erschien auf dem Display. Den konnte sie jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Nach kurzem Zögern nahm sie ab. Sie hatte seine Mail nicht beantwortet. Sie konnte sich nicht einmal erinnern, ihm ihre Telefonnummer gegeben zu haben, aber wahrscheinlich war es kein Problem, die über das Krankenhaus herauszufinden.
»Hallo Jonah«, sagte sie.
»Überrascht?« Jonah zögerte. Caroline hörte ihn schlucken.
»Ja.«
»Ich würde dich gern sehen.«
»Hast du getrunken?«, fragte Caroline.
»Ein bisschen. Gerade genug.«
»Gerade genug wofür?«
»Um den Mut aufzubringen, dich anzurufen und dir zu sagen, dass ich die ganze Zeit an dich denke.«
Er brachte die Worte nicht mehr klar heraus. Caroline wollte nicht mit ihm reden. »Daraus wird nichts, Jonah.«
»Ich spüre, dass du unglücklich bist. Genau wie ich. Vielleicht können wir uns gegenseitig helfen.«
»Jonah, geh zu deiner Frau.«
Caroline war gut gelaunt, als sie zu Hause ankam, ihre Müdigkeit war verflogen, und sie war davon überzeugt, dass sie und Peter ihre Probleme in den Griff bekommen würden. Es war der Stress, der solche verrückten Ideen aufkommen ließ, zum Beispiel, dass sie ihren Job aufgeben könnte. Vielleicht sollten sie sich mal einen Familienurlaub gönnen.
Im Haus duftete es nach Möbelpolitur und irgendetwas, das Rose am Nachmittag gebacken hatte. Haferflockenplätzchen?
Es war still im Haus, nichts zu hören von ihrer Tochter. Sie schaute im Spielzimmer nach, in der Küche (alles blitzsauber – auf der Anrichte wie erwartet Haferflockenplätzchen) und im Kinderzimmer. Niemand. Sie knabberte an einem Plätzchen, das sie von der Anrichte stibitzt hatte, und ging in den Garten.
»Mommy!« Savannah kletterte aus dem Sandkasten und kam auf sie zugelaufen. »Die Plätzchen haben wir zusammen gebacken!«
Caroline befreite sich von Savannahs schmutzigen Händen und gab ihr einen Kuss auf ihr verschwitztes Haar. Savannahs Pferdeschwanz war bereits in Auflösung begriffen. »Die sind wirklich lecker! Das habt ihr gut gemacht!«
»Was gibt’s zum Abendessen?«, fragte Savannah.
»Plätzchen mit Milch?«
»Wirklich?«, fragte Savannah mit leuchtenden Augen.
Caroline zwickte ihre Tochter in die Nase. »Nein. Ich gehe mich erst mal umziehen.« Sie stand auf. »Rose, hat Peter angerufen?«, fragte sie.
Rose blickte auf und schenkte ihr diesen unerträglichen, wissenden Blick, den sie immer zur Schau stellte, wenn sie ahnte, dass es zwischen ihr und Peter Probleme gab. »Er kommt bald nach Hause«, sagte sie. Vielleicht hatte sie irgendwie gespürt, dass Caroline jemanden kennengelernt hatte.
Caroline funkelte sie wütend an. Grins nicht so blöd. Es ist nichts passiert. Aber irgendetwas war passiert, oder nicht? War sie nicht drauf und dran gewesen, sich mit Jonah zu treffen? Wie schuldig machte man sich durch so etwas? Sie stellte sich vor, wie es wäre, wenn Peter mit einer anderen Frau telefonierte. E-Mails mit ihr austauschte. Ihr von sich erzählte. Wie es wäre, wenn er so weit gehen würde, wie sie gegangen war – und wenn er die Sache dann abbrechen würde. Würde sie ihn dafür loben, dass er nicht weitergegangen war, oder würde sie ihn dafür verurteilen, dass er es überhaupt so weit hatte kommen lassen?
Sie würde ihn verurteilen.
»Savannah, wollen wir heute etwas Verrücktes zu Abend essen?«, fragte Caroline.
»Au ja, Mommy!« Savannah fiel ihr um den Hals. Caroline nahm das kleine Gesicht ihrer Tochter in beide Hände und bedeckte es mit Küssen. Savannah liebte diese weichen, flüchtigen Küsse.
Eine Stunde später bereute Caroline ihr Angebot, etwas Verrücktes zum Abendessen zu kochen. Kochen machte ihr einfach keinen Spaß. Vielleicht machte ihr sowieso nichts richtig Spaß.
Während sie das nächste kleine Fleischbällchen rollte, dachte sie daran, wie ihre Mutter ihr und
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