Das Band der Wünsche: Roman (German Edition)
ihres Gesichts unauslöschlich eingeprägt hatte?
»Deine Frage beantwortet sich von selbst.«
»Danke, Buddha.« Tia rückte so dicht wie möglich an die Tür und lehnte den Kopf gegen die kühle Scheibe. Wie würde es sein, jeden Morgen aufzuwachen und Savannahs Gesicht zu sehen?
»Du meinst wohl eher Roshi. Den Zen-Meister.«
»Nein, ich meinte Buddha, Herr Professor. Den schweigenden Buddha.«
Er lachte. Eins musste man Nathan lassen: Er konnte über sich selbst lachen. »Ja. Ich fand Savannah wunderbar, aber so ist das mit eigenen Kindern, man findet sie einfach wunderbar.«
Tia schaute ihn an. Sie zog ein Bein an und legte ihm eine Hand auf den Arm. »Dann hast du also das Gefühl, dass sie dein Kind ist?«
»Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll.«
»Empfindest du dasselbe für sie wie für deine Söhne?«
»Ach, Tia, natürlich nicht. Ich war dabei, als sie geboren wurden. Ich bin mit ihnen zusammen, seit sie auf der Welt sind, und ich werde es immer sein.«
»Sie ist also zweite Wahl. Genau wie ich.«
»Du simplifizierst. Du reduzierst einen komplexen Sachverhalt auf ein Schwarz-Weiß-Schema.«
»Ich weiß , was simplifizieren heißt.« Was zum Teufel bildete er sich eigentlich ein?
Vielleicht war das Beste an der Wiederbegegnung mit Nathan die Einsicht, wie schlecht sie zueinander passten. Pass auf, was du dir wünschst – es könnte in Erfüllung gehen . Robin hatte früher immer gesagt, das Schlimmste, was ihr passieren könne, wäre, dass Nathan ihretwegen seine Frau verließe.
Robin hatte auch gesagt, Savannah zu besuchen, sei ein Fehler. Aber Tia glaubte das nicht. Das Problem war nur, dass sie sich jetzt danach sehnte, Savannah öfter zu sehen.
Memorial Day brachte Tia damit zu, bei Macy’s nach einem Kostüm zu suchen. Sie hatte in ihrem Kleiderschrank nichts gefunden, was sie zu einem Vorstellungsgespräch hätte anziehen können. Wahrscheinlich hatte sie irgendetwas Anständiges getragen, als sie sich bei Richard vorgestellt hatte, aber was auch immer das gewesen sein mochte, es war sowieso längst aus der Mode.
Ein bisschen wackelig auf ihren nagelneuen hochhackigen Pumps stieg sie die schmuddeligen Betonstufen zum Merciful Sisters Senior Center hinunter. Das Seniorenzentrum war im Kellergeschoss einer katholischen Kirche untergebracht. Sie fühlte sich hin- und hergerissen zwischen Reue, weil sie seit Jahren nicht mehr zur Messe gegangen war, und Ärger über die daraus resultierenden Schuldgefühle, die ihr das Leben schwermachten.
Sie hatte Savannah zur Welt gebracht. Es war eine Entscheidung im Sinne der Kirche gewesen, eine Entscheidung, die sie mit dem Herzen getroffen hatte, als sie erfahren hatte, dass sie schwanger war. Ihre Haltung zur Abtreibungspolitik lautete offenbar: Entscheidungsfreiheit für alle außer Tia.
Tia betrat einen großen, offenen Raum, der mithilfe von Möbeln in verschiedene Bereiche aufgeteilt worden war. In einer Ecke standen drei Schreibtische. Am ersten saß eine große, schlanke Frau, die eine schwarze Hose und eine weiße Bluse trug, die geschnitten war wie ein Männerhemd. Das dichte weiße Haar, auf dem Kopf zu einem Knoten zusammengefasst, betonte ihre blauen Augen. Der Schreibtisch neben ihr sah aus, als wäre eben noch daran gearbeitet worden: ein offener Aktenordner, daneben ein achtlos abgelegter Stift, eine Zeitung, die anscheinend in Erwartung der Pause aufgeschlagen war.
Der dritte Schreibtisch war leer. Obenauf lag ein Stück Pappe, das vielleicht einmal eine Schreibunterlage gewesen war. Vielleicht war dieser Arbeitsplatz für sie vorgesehen. Erwartete man von ihr, dass sie ihn mit Nippes aufhübschte? Mit dem gläsernen Briefbeschwerer zum Beispiel, den Bobby ihr als Glücksbringer geschenkt hatte? Sie hatte sich ein Lächeln abgerungen, als sie die mit Satin ausgeschlagene und mit Schaumstoff gepolsterte Schachtel geöffnet und den kleinen Globus aus dem weißen Seidenpapier gewickelt hatte – Gott, das Ding würde einen Krieg überleben –, aber ihr Lächeln hatte sich angefühlt wie eine Maske. Sie hatten die Geschenke-ohne-besonderen-Anlass-Phase ihrer Beziehung erreicht, und Bobby war kaum noch zu bremsen. Es war ihm ernster denn je.
Er redete in einem Ton über das Thema Sorgerecht, als stünde für ihn schon fest, dass sie Savannah demnächst gemeinsam großziehen würden. Sie selbst betrachtete das Ganze erst einmal als Auslotung von Möglichkeiten. Und da sie Bobby die Anwaltsrechnungen bezahlen ließ,
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