Das Band der Wünsche: Roman (German Edition)
schürte sie zwangsläufig seine Erwartungen.
Sie fürchtete, dass sie letztlich einen Preis für alles würde zahlen müssen. Hin- und hergerissen zwischen Bobbys Optimismus und Robins Warnungen, betrachtete sie immer wieder das Foto von Savannah, das sie in ihrer Brieftasche aufbewahrte.
Wenn sie überhaupt eine Aussicht auf Erlangung des Sorgerechts haben wollte, musste sie zuerst einen Job finden. Der Anwalt hatte gesagt, das sei eine unverzichtbare Voraussetzung. Außerdem hatte er auf eine Weise auf ihre Beziehung mit Bobby angespielt, aus der sie geschlossen hatte, dass es sich positiv auswirken würde, wenn sie heirateten.
Nicht dass sie deswegen mit Bobby zusammenbleiben würde, aber wäre das nicht ein positiver Nebeneffekt, ganz gleich was bei der Sorgerechtssache herauskommen würde?
»Sie müssen Tia sein.« Die Frau in der weißen Bluse stand auf und kam Tia mit ausgestreckter Hand entgegen. »Ich bin Schwester Patrice.« Sie strahlte Charakterstärke und Herzensgüte aus. Die alten Leute hatten es verdient, dass so jemand ein Seniorenzentrum leitete. Vielleicht konnte Tia, wenn sie hier arbeitete, Befriedigung darin finden, Gutes zu tun. Vielleicht würde sie weniger ihren Sehnsüchten nachhängen und mehr bei der Sache sein.
Es duftete nach Äpfeln und Zimt, als wären vor Kurzem Kuchen gebacken worden. Plastikbehälter mit Bastelmaterial standen in den Regalen. Auf einem Tisch lagen Stapel alter Postkarten, die offenbar für die Gestaltung von Schachteln verwendet werden sollten. Tia hatte bereits im Eingangsbereich eine Reihe mit Decoupage-Technik veredelter Schachteln gesehen.
Tia stellte sich vor, wie sie im Dezember in Fianna’s Bar ihre Freunde bat, alle Weihnachtskarten für sie aufzuheben. Sie würden tütenweise Karten anschleppen. Jahr für Jahr würde Tia unter Bergen von Grußkarten versinken, weil die Leute sich in dieser Zeit gern von ihrer wohltätigen Seite zeigen.
Am anderen Ende des großen Raums arbeitete eine Frau an einem Computer. Tia konnte nicht erkennen, ob es sich um eine Mitarbeiterin oder eine Klientin handelte. An der Wand hinter der Frau hingen jede Menge Fotos von Soldaten.
»Das sind die Soldaten, die wir adoptiert haben«, erklärte Schwester Patrice und zeigte auf die Fotos. »Einen für jeden unserer Klienten.«
»Sie haben offenbar ziemlich viele Klienten.«
»Ja.« Schwester Patrice’ Lächeln entblößte perfekte Zähne. Die Nonne war mindestens Anfang siebzig, es handelte sich also wahrscheinlich um ein Gebiss, aber ein gutes. Das rosige Gesicht der Frau war fast faltenfrei, aber Tia spürte ihr Alter. Sie hatte lange genug mit Senioren gearbeitet, um das Alter eines Menschen einschätzen zu können. Gegen die Aura des Alters konnte alles Botox der Welt nichts ausrichten.
»Kommen Sie, nehmen Sie Platz.« Die Nonne führte Tia am Ellbogen zu zwei Sesseln, die sich in einer Ecke gegenüberstanden. »Möchten Sie vielleicht eine Tasse Tee? Oder Kaffee? Danke, dass Sie so früh gekommen sind. Ich dachte, es ist besser, wir unterhalten uns, bevor es hier voll wird.«
»Ich möchte nichts, danke.« Tia sah Senioren vor ihrem geistigen Auge, die durch die Tür strömten und, auf ihre Gehstöcke gestützt, zu dem alten Klavier hinüberschlurften, um miteinander zu singen. Ihr Magen zog sich zusammen, als sie sich Mrs. Graham vorstellte, lächelnd und vor sich hinsummend. Sie hätte die alte Dame mit einer Gruppe wie dieser hier in Kontakt bringen sollen. Mrs. Graham liebte Musik.
Dass sie bei Mrs. Graham schrecklich versagt hatte, belastete sie so sehr, dass sie den Gedanken daran kaum ertrug. Wie immer schob sie die Erinnerung hastig beiseite.
»Sie scheinen mir mehr als geeignet zu sein für die Stelle.« Schwester Patrice blickte von einem braunen Hefter auf, der wahrscheinlich Tias Lebenslauf und Bewerbungsschreiben enthielt. »Aber ich sehe keine Empfehlungen. Wie kommt das?«
Das Bedürfnis, nicht zu lügen, war stärker als der Wunsch, diese gütige Frau zu beeindrucken. »Ich habe bei meiner letzten Arbeitsstelle totalen Mist gebaut. Verzeihen Sie die Ausdrucksweise, Schwester.«
Schwester Patrice lächelte. »Erstaunlich ehrliche Worte für ein Vorstellungsgespräch.«
Tia legte den Kopf schief. »Ist das gut oder schlecht? Klare Worte sind mir wichtig.«
»Denken Sie dabei an uns oder an sich selbst?«
»Sowohl als auch, würde ich sagen«, sagte Tia. »Aber wahrscheinlich in erster Linie an mich selbst.«
»Erzählen Sie mir doch
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