Das Band der Wünsche: Roman (German Edition)
Lasst uns essen.« Sie setzte sich neben ihren Mann, nahm ihre Gabel und fuchtelte damit in Carolines Richtung. »Im Ausgleich für das Opfer, das mein Sohn bringt, kann ich dir nur raten, ein Heilmittel für Augenkrebs zu entwickeln!«
»Mach ich, Mom«, sagte Caroline. »Ich arbeite dran.«
Caroline lächelte ihre Schwiegermutter an. Sie schob sich ein großes Stück Kuchen in den Mund und genoss die süße, cremige Mischung am Gaumen. Sie drückte Savannah an sich. Sie schloss die Augen und atmete den Duft nach Babyshampoo und Carolines Puder ein. Ihre Kleine fing schon an, die Kosmetika ihrer Mutter zu benutzen.
Savannahs erste fünf Jahre waren nicht ungetrübt verlaufen. Das wusste Caroline. Und sie wusste auch, dass sie den größeren Teil der Verantwortung dafür trug. Jetzt mussten sie sich überlegen, wie sie ihr Leben ändern konnten.
34. Kapitel – Tia
Tia bewunderte die Geduld, die Schwester Patrice aufbrachte. Die sengende Augusthitze – der die alte Klimaanlage der Kirche kaum etwas entgegenzusetzen hatte –, die verwirrten alten Leute, die sie jedes Mal am Ärmel zupften, wenn sie vorbeiging, die Toiletten, die zehnmal täglich gesäubert werden mussten – sie ließ sich durch nichts beirren. Die Schwester sah in jedem Menschen nur das Gute – selbst in Ed Parker, der dauernd versuchte, den Frauen, die an ihm vorbeikamen, den Rock hochzuheben. »Das zeigt doch nur, dass er noch einen Funken Leben in sich hat«, sagte sie immer wieder und stellte ihm eine Schale mit Keksen hin, damit seine Hände was zu tun hatten. Und da Ed sich weigerte, sein Gebiss zu tragen, dauerte es sehr lange, bis er die Plätzchen alle aufgegessen hatte.
Das große Herz ihrer neuen Chefin half Tia darüber hinweg, dass sie den falschen Job angenommen hatte. In dem Monat, seit sie bei den Merciful Sisters angefangen hatte, war ihr eins klar geworden: Die Arbeit mit Demenzkranken war etwas für ausgeglichene, heitere Menschen. Tia war weder das eine noch das andere.
Bei dieser Arbeit musste Tia jede Minute präsent sein. Die Angestellten hatten morgens eine Viertelstunde Zeit, sich vorzubereiten, ehe die Klienten kamen, und abends eine Viertelstunde, um aufzuräumen und zu putzen, nachdem die Klienten gegangen waren. Die restlichen siebeneinhalb Stunden waren sie dazu da, die alten Frauen und Männer zu unterhalten, denen der Treffpunkt im Kellergeschoss der Kirche alles bedeutete.
Das Seniorenzentrum der Merciful Sisters war eine hervorragende Einrichtung. Im Vergleich zu anderen Seniorenzentren war es das reinste Paradies. Die Plätzchen, die Schwester Harmony täglich backte, waren so köstlich, dass Tia zum ersten Mal in ihrem Leben einen kleinen Bauch bekam.
Father Gerard kam jede Woche mit einer neuen Klassikerausgabe zu ihnen. Sie setzten sich in einem Kreis zusammen und hörten zu, während er mit seinem schottischen Akzent vorlas. Diese Woche war es Ivanhoe, der schwarze Ritter .
Es gab Malstunden, sie schrieben Briefe an im Ausland stationierte Soldaten, es wurde gesungen, und man ging zusammen ins Theater oder ins Kino. Vergangene Woche hatte Tia zwei zittrige alte Damen, die sich rechts und links bei ihr eingehakt hatten, durch den Mittelgang des Colonial Theatre geführt, wo sie sich eine Neuinszenierung von Schwere Jungs – leichte Mädchen angesehen hatten.
Für Tia war das alles furchtbar deprimierend. Tagein, tagaus gute Laune versprühen zu müssen, lag ihr nicht. Sie fand das Zentrum großartig, aber sie wusste kaum, wie sie die Tage überstehen sollte, und sie hatte Angst vor der Zukunft. Vielleicht musste sie sich einfach zusammenreißen und akzeptieren, dass das ihr Leben war.
»Hier, bitte.« Schwester Harmony reichte ihr einen Teller mit kleinen Baisers. »Heute mal was ganz Besonderes. Würden Sie die bitte herumreichen?«
Tia nahm den Teller entgegen. Am Morgen hatte Schwester Harmony ihr erzählt, dass sie schon seit einiger Zeit auf einen trockenen Tag gewartet hatte, um diese Baisers machen zu können – Engelsküsse nannte sie sie. Anscheinend brachte Luftfeuchtigkeit die Engelsküsse zum Weinen.
Tia brachten die alten Leute zum Weinen. Sie wollte die Zeit, die sie mit ihnen verbrachte, so gern genießen, und sie verabscheute sich dafür, dass sie stets ein falsches Lächeln aufsetzte. Diese Leute hatten mehr verdient als Plätzchen, und Tia wollte herausfinden, was man anders machen konnte. Vielleicht sollte sie noch mal studieren. Vielleicht Lehrerin werden.
Sie achtete
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